nd-aktuell.de / 02.05.2020 / Politik / Seite 10

Arztbesuch nur mit Kreditkarte

Max und Moritz analysieren im Chat mit Oliver Kern jede Woche den US-Wahlkampf. Aktuell: Wie sehr ist das Gesundheitssystem durchkapitalisiert?

Max Böhnel und Moritz Wichmann
MUM6 - Arztbesuch nur mit Kreditkarte

Hallo Max. Lass uns übers Gesundheitssystem in den USA sprechen. Die jährlichen Ausgaben pro Kopf liegen bei 10 500 Dollar. In Deutschland sind es umgerechnet nur 6000. Was macht das US-System so viel teurer?

Die Tatsache, dass es kein staatlich kontrolliertes Versicherungssystem gibt. Es gibt drei Arten: private, staatliche und Betriebskrankenversicherungen. Das ist ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft.

Wie teuer ist eine Privatversicherung?

Monatliche Prämien beginnen ab etwa 1000 Dollar. Dazu kommen noch Copays und Deductibles.

Was ist das denn?

Copay ist eine Zuzahlung bei jedem Arztbesuch. Irgendwas zwischen 10 und 50 Dollar. Kommt man zum Arzt, lautet die erste Frage: »Wo ist Ihre Kreditkarte?« Ein Deductible ist eine Selbstbeteiligung, die mindestens 5000 Dollar pro Jahr beträgt. Eine Summe, für die man selbst aufkommt, bevor die Versicherung überhaupt zahlt.

Da geht doch keiner mehr zum Arzt!

Manche nicht. Vor jedem Arztbesuch rechnen sie genau durch: Kann ich mir das leisten? Man kann oft auch nur zu bestimmten Ärzten gehen, um Kosten erstattet zu bekommen. Nur bei Notfällen muss behandelt werden, ansonsten kann dich die Klinik zurückschicken.

US-Bürger sind oft an den Arbeitgeber gebunden, richtig?

Ja, ungefähr die Hälfte hat eine betriebliche Krankenversicherung. Bei Arbeitslosigkeit fällt sie aber weg. Das betrifft mit Corona jetzt viele Millionen. Prognosen sagen eine Arbeitslosenquote von bis zu 30 Prozent voraus.

Wie viele US-Amerikaner sind unversichert?

Obamacare hat die Zahlen seit 2010 von 45 Millionen um zwei Drittel gesenkt. Jetzt kommen aber vermutlich wieder mehr als 20 Millionen dazu. Zusätzlich sind 80 Millionen unterversichert. Auch bei ihnen sind die Zusatzkosten zu hoch, und manche gehen daran bankrott - oder sie bringen sich sogar um, weil sie die Raten nicht mehr zahlen können.

Es gibt aber auch staatliche Versicherungen.

Ja, Medicaid ist eine tolle Gratisversicherung für Menschen, die ganz ganz arm sind. Sie bekommen Therapien und Arztbesuche bezahlt. Das betrifft aber nicht sehr viele, da das Verdienstlimit sehr niedrig ist. Und Medicare bekommt man erst ab 65.

Ändert Corona gerade die politische Debatte?

Die Menschen wollen schon seit Jahren ein billigeres Versicherungssystem. Eines, bei dem man keine Angst haben und dauernd rechnen muss. Aber die Republikaner denken, der freie Markt müsse das regeln, alles andere sei Sozialismus und Teufelswerk. Bei den Demokraten ändert sich langsam etwas. Selbst die moderaten unter ihnen wie Joe Biden und Hillary Clinton forderten diese Woche eine universelle Krankenversicherung.

Dann hätte Corona doch ein Gutes, auch wenn es ein hoher Preis für diese Erkenntnis wäre.

  • Das Comeback von Joe Biden[1] am Super Tuesday
  • Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert[2] hat
  • Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise[3] enthält
  • Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes[4] zeigt
  • Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung[5] nutzen
  • Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen[6] hat
  • Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke[7]?

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1133896.max-moritz-onkel-joe-ist-aufgestanden.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134266.max-moritz-opportunistisches-kalkuel.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134798.coronavirus-in-den-usa-jetzt-sind-wir-alle-sozialisten.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1135139.coronavirus-in-den-usa-die-opfer-des-freien-marktes.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1135328.coronavirus-us-republikaner-in-wisconsin-sind-spitze-in-waehlerunterdrueckung.html
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1135602.bernie-sanders-warum-bernie-sanders-verloren-hat.html
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1135843.joe-biden-leere-rhetorik-oder-zugehen-auf-parteilinke.html