nd-aktuell.de / 04.05.2020 / Kultur / Seite 10

Aufeinander aufpassen

Von Polit-Burnout und Ausnahmesemester: Die Frankfurter Hochschulgewerkschaft unter_bau

Veronika Kracher

Unter_bau ist eine Hochschulgewerkschaft, nicht nur für studentische Mitarbeitende, sondern für alle an der Universität Beschäftigten. Wie verbindet man dies?

Wir sind eine basisdemokratisch organisierte und statusgruppenübergreifende Gewerkschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das heißt, dass sich im unter_bau alle Uniangehörigen organisieren können, also sowohl diejenigen, die in der Forschung, Lehre, Verwaltung oder im Service tätig sind, als auch Studierende. Nur Professor*innen sind ausgeschlossen.

Die Uni wird leider immer mehr wie ein neoliberales Unternehmen geführt, an dem Studierende wie Kund*innen Credit Points »erwerben«. In diesem Betrieb gibt es zahlreiche unterschiedliche Lebensrealitäten. Und die zu vermitteln, ist nicht immer leicht. Aber im unter_bau verbindet uns die Überzeugung, dass es richtig ist, die Spaltung zwischen den Statusgruppen zu überwinden.

Worauf zielt diese Verbindung?

Unser Ziel ist eine Hochschule in Selbstverwaltung - also eine Hochschule, an der alle geschult werden, Entscheidungen zu treffen und diejenigen die Entscheidungen treffen, die auch von ihnen betroffen sind. Unsere Strategie ist eine transformative: Das bedeutet, dass wir innerhalb unserer Organisation bereits Praktiken einüben, die über die bestehenden Verhältnisse hinausweisen. Zudem kämpfen wir für konkrete Verbesserungen für unsere Mitglieder und alle Universitätsangehörigen.

Feminismus, Hochschulpolitik und Gewerkschaftspolitik denken wir zusammen. Wir wollen uns an dem Ort organisieren, an dem wir unser Geld verdienen und einen großen Teil unseres Lebens verbringen. Wir hoffen, dass sich andere von der Idee inspiriert fühlen, kämpferisch-gewerkschaftlich zu denken und zu handeln.

Ihr habt euch anlässlich der Coronakrise intensiv damit beschäftigt, wie sich diese auf universitär Beschäftigte auswirkt. Wie beeinträchtigt die Pandemie Lehre, Studium und Arbeit an Universitäten?

Da wir Mitglieder aus allen Statusgruppen haben, konnten wir sehr schnell einen Überblick über die Konsequenzen der Krise an der Hochschule bekommen. An der Uni gibt es sehr viele unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse, auf die sich die Krise jeweils unterschiedlich auswirkt: Angestellte im IT-Bereich sind stark von der Turbo-Digitalisierung belastet, ebenso Lehrende, die ihre Seminare innerhalb weniger Wochen auf digitale Formate ändern sollen. Studierende geraten durch Lohnausfälle in Not und die Schließung der Universitätsgebäude trifft vor allem auch das Reinigungs- und Sicherheitspersonal. Das Homeoffice belastet vor allem Eltern und birgt Gefahren der häuslichen Gewalt.

Viele der Probleme, mit denen wir gerade konfrontiert sind, stellen eine Verschärfung der insgesamt prekären Lage der Universität dar - die nicht erst mit der Pandemie entstanden ist. Bei dem desaströsen Betreuungsverhältnis in vielen Studiengängen kann auch keine sinnvolle digitale Lehre verwirklicht werden. Wenn man sich stark von Drittmitteln abhängig macht, muss man Mitarbeiter*innen besonders in der jetzigen Krisenzeit im Stich lassen und sie darauf hoffen lassen, dass die externen Geldgeber*innen Lösungen anbieten.

Die Uni Frankfurt ist auf die Forderung der Gewerkschaft eingegangen, das Sommersemester 2020 als »Ausnahmesemester« zu gestalten. Was hat es damit auf sich?

Die Unileitung spricht zwar von einem »Ausnahmesemester«. Die dafür nötigen Rahmenbedingungen - Aussetzung der Regelstudienzeit, Verlängerung befristeter Stellen, Rechtssicherheit - sind jedoch nach wie vor nicht gegeben. Wir wissen daher in der aktuellen Situation nicht, inwiefern sich das postulierte »Ausnahmesemester« von einem einfach schlechten Semester unterscheiden sollte.

Das Präsidium hat in den letzten Jahren intensiv an der Monopolisierung der Entscheidungsgewalt gearbeitet. Damit sind sie jetzt in der Pflicht, diese Verantwortung zu tragen. An manchen Stellen hat es Erleichterungen gegeben und wir kämpfen weiterhin für konkrete Verbesserungen.

Gibt es schon Pläne für die Zeit nach dem Sommersemester?

Ja! Es sollte keine Ausnahme sein, dass die Unileitung nun vom Land die Verlängerung befristeter Verträge um ein Semester fordert, sondern der Beginn einer umfassenden Entfristungskampagne. Zudem fordern wir mehr Kitaplätze für Beschäftigte und Studierende, dass das Outsourcing von Arbeitsplätzen rückgängig gemacht wird und die hohe Arbeitsbelastung von Mitarbeiter*innen in Verwaltung, Technik und Service nachhaltig reduziert wird. Auf keinen Fall darf sich die Situation von Homeoffice und digitaler Lehre über die Krise hinaus verstetigen.

In Zeiten, in denen politische Versammlungen wie die Seebrücke-Demonstration in Frankfurt trotz eingehaltenem Sicherheitsabstand auf brutale Repressionen vonseiten der Polizei stieß, die angebliche »Sicherheitsmaßnahmen« als Ausrede benutzte, um das Versammlungsrecht einzuschränken, wird politische Arbeit zunehmend erschwert. Wie kann politisches Engagement in Zeiten von Corona aussehen?

Ich bin nicht allzu optimistisch, was die gesellschaftliche Lage angeht, aber das ändert für mich nichts an der Notwendigkeit, unser Möglichstes zu tun. Das Kerngeschäft von unter_bau geht auch unter erschwerten Bedingungen weiter: Wir versuchen unsere eigenen Arbeitsverhältnisse zu verstehen, mit Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen, unsere gemeinsamen Interessen herauszufinden und konkrete Handlungsmöglichkeiten zu suchen, um unsere Situation gemeinsam zu verbessern. So bauen wir eine Struktur auf, die dann auch größere Kämpfe führen kann.

Die Arbeiter*innenbewegung lehrt uns, konkrete Solidarität mit langfristiger Organisierung zu verbinden. Viele unserer Mitglieder sind auch in den »Solidarisch trotz Corona«-Gruppen aktiv. Bei Lieferando in Köln hat vergangene Woche trotz Union-Busting die gewerkschaftsnahe Liste die Betriebsratswahlen gewonnen, nachdem sie nicht nur mehr Arbeitsschutz gefordert, sondern auch selbst ein eigens hergestelltes Desinfektionsmittel an die Fahrer*innen verteilt hat. Gerade ist in vielen Betrieben Chaos und das tragen bisher vor allem die Arbeitnehmer*innen. Aber wenn sie sich zusammenschließen, dann können sie die Situation für sich nutzen.

In einem Interview mit der »Zeit« befürchtet der Soziologie Wilhelm Heitmeyer durch Corona eine Zunahme des autoritären Potenzials in der Gesellschaft. Wie sehen Sie das?

Als soziologische Analyse ist das vermutlich zutreffend, aber Verschwörungsideologien und Feindschaft gegen das vermeintlich Andere sind ja keine naturgegebenen Antworten auf Angst und Unsicherheit. Heitmeyer fragt in dem Interview, wer denn die Akteur*innen für eine gegenteilige Entwicklung sein sollten. Wir müssen uns nichts vormachen: Die gesellschaftliche Linke ist nicht sonderlich gut organisiert. Umso wichtiger ist es, denke ich, unsere konkrete Unterstützung als Nachbar*innen und Kolleg*innen mit kämpferischen Organisationsformen zu verbinden. Viele von uns haben sich mit dem ausbeuterischen »Normalzustand« arrangiert, aber jetzt kann man neue Fragen stellen und die Antworten darauf können das Potenzial zur Organisation liefern.

Die kapitalistische Antwort auf Arbeitskämpfe ist eine zunehmende Neoliberalisierung. Wie kann man handlungsfähig bleiben?

Es ist nichts Neues, dass der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit brutal ist. Aber die feministische Streikbewegung formuliert unsere Stärke: Wenn wir streiken, steht die Welt still! Aus diesem Selbstbewusstsein lassen sich viele Handlungsmöglichkeiten ableiten. Wir müssen uns nicht jeden Scheiß, den unsere Chefs verlangen, gefallen lassen.

Da viele gerade jetzt härter, länger und vehementer kämpfen müssen, sind manche umso schneller ausgebrannt. Haben Sie Tipps, was zu tun ist bei einem »Polit-Burnout«?

Ich denke, Ehrlichkeit ist ein guter Ratgeber - also möglichst früh anerkennen, dass es zu viel wird, und das dann auch mit den Genoss*innen kommunizieren. Zu politischer Arbeit gehört auch, dass wir auf uns und uns gegenseitig aufpassen.