nd-aktuell.de / 12.05.2020 / Politik / Seite 2

»Situation größter Schutzlosigkeit«

Der honduranische Menschenrechtsexperte Joaquín Mejía über Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit von Aktivistinnen und Aktivisten im Land

Martin Reischke

Welche konkreten Maßnahmen hat die honduranische Regierung angesichts der Coronakrise ergriffen?

Es gibt eine allgemeine Ausgangssperre, außerdem wurden Gelder bereitgestellt, um die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Dabei gibt es aber verschiedene Probleme: Oft kommen die Nahrungsmittel nicht bei den bedürftigen Personen an oder sie werden von der Regierung in erster Linie an politische Sympathisanten verteilt. Also gehen die Menschen auf die Straße, um ihr Grundrecht auf Nahrung einzufordern, und die Regierung reagiert mit Schüssen und Repression.

In der Coronakrise werden viele Grundrechte eingeschränkt. Welche Konsequenzen hat das für Menschenrechtsaktivist*innen?

Eines der Rechte, die in der Krise ausgesetzt wurden, ist die Unverletzbarkeit des eigenen Wohnraums. Das heißt, dass staatliche Sicherheitskräfte nun auch ohne richterlichen Beschluss in Privatwohnungen eindringen können. Es gab schon einen Fall im Süden des Landes, wo genau das passiert ist und und eine Aktivistin in ihrem Haus festgenommen wurde. Sie kam dann später zwar wieder frei, aber der Fall zeigt, wie die honduranische Regierung den Ausnahmezustand ausnutzt, um grundlegende Rechte von Aktivist*innen zu verletzen. Gleichzeitig können wir uns nicht aus unseren Häusern herausbewegen und im öffentlichen Raum darauf aufmerksam machen, was gerade passiert. Die Lage für Menschenrechtsaktivist*innen in Honduras war schon vor der Pandemie sehr prekär; jetzt ist sie noch viel schwieriger, weil wir uns in einer Situation größter Schutzlosigkeit befinden.

Michelle Bachelet, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, hat die Regierungen weltweit dazu aufgefordert, die Haftbedingungen in den Gefängnissen zu überprüfen und - wenn möglich - die Anzahl der Inhaftierten zu reduzieren, um Ansteckungen zu verhindern. Werden diese Empfehlungen in Honduras umgesetzt?

Die honduranische Rechtsprechung hat diese Empfehlung aufgenommen, was erst einmal positiv ist. Das Problem ist, dass wir eine sehr selektive Rechtsprechung haben. Teodoro Bonilla, der frühere Vizepräsident des Nationalen Rates der honduranischen Richterschaft, der wegen zahlreicher Korruptionsdelikte eine Haftstrafe absitzt, wurde freigelassen, während acht Umweltaktivisten, die den Guapinol-Fluss verteidigen, noch immer illegal in Untersuchungshaft gehalten werden (siehe Artikel). Und das, obwohl bereits drei Habeas Corpus eingelegt wurden - das sind Rechtsmittel, um die Freilassung der Personen aus rechtswidriger Haft zu erreichen. Doch bisher gab es nicht einmal eine Antwort.

Stimmt es, dass von der Überprüfung der Haftbedingungen auch einige der Männer profitieren könnten, die wegen des Mordes an der Umweltaktivistin Berta Cáceres zu langen Haftstrafen verurteilt wurden?

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die Behörden so weit gehen würden, weil es sich um Personen handelt, die wegen eines wirklich schweren Verbrechens verurteilt wurden. Allerdings haben wir es mit einer autoritären Regierung zu tun, da ist letztlich alles möglich, und wir müssen natürlich immer wachsam sein.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Legitimität der honduranischen Regierung?

Auf der einen Seite hat die Krise der Regierung geholfen, weil es jetzt ruhig ist im Land und niemand mehr auf die Straße gehen kann, und weil hohe Millionenbeträge bewilligt wurden, von denen vor allem regierungsnahe Kräfte im Land profitieren werden, zum Beispiel die Streitkräfte. Auf der anderen Seite ist es bei der Verteilung der Gelder zu verschiedenen Fällen von Korruption gekommen, und das hat die Regierung geschwächt, weil die Bürger*innen eine größere Wachsamkeit an den Tag legen und genau hinschauen, was die Regierung tut, um die Krise zu meistern.