nd-aktuell.de / 12.05.2020 / Kommentare / Seite 8

Bedrohte Medienfreiheit

Vor allem Medienkonzerne und Autokraten gefährden die Pressefreiheit in Europa, meint Martina Michels

Martina Michels

Vermummt, aggressiv, skrupellos. So stürzten sich 15 Gewalttäter*innen brutal am 1. Mai auf ZDF-Fernsehleute. Ohne Vorwarnung prügelten und traten sie auf das Team der »heute show« ein. Bei diesem Angriff auf dem Berliner Alexanderplatz wurden sechs Menschen verletzt. Diese feige Tat mitten in Deutschland ist ein Angriff auf unsere Demokratie, auf unsere Freiheit. Denn keine Demokratie ohne freie Medien! Immer öfter werden Journalist*innen bei Demonstration Opfer von Gewalt, im Netz sind psychische Angriffe trauriger Alltag. In anderen EU-Staaten wird sogar gemordet: die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia wurde aus dem Leben gebombt, der Slowake Jan Kuciak wurde kaltblütig hingerichtet. Der Schutz in Europa reicht nicht, damit Journalist*innen angstfrei arbeiten können. Das muss sich sofort ändern.

Medienfreiheit dreht sich nicht nur um die Sicherheit der Menschen, die uns alle informieren und unterhalten. Medienfreiheit in einer Demokratie heißt auch: Wir brauchen unterschiedliche Meinungen. Diese gibt es nicht mehr, wenn nur ein paar Medien-Konzerne zu viele Marktanteile haben. Genau diese Gefahr besteht in Europa. Laut einer Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle teilten sich 2016 nur 13 Medienunternehmen den Markt. »Länderübergreifende Rundfunkgruppen« seien entstanden, weil große Konzerne nutzen konnten, dass die europäischen Fernsehmärkte privatisiert wurden und der öffentlich-rechtliche Rundfunk oft zu schwach war. Bestes Beispiel: RTL - ein führender Medienkonzern in 17 europäischen Ländern. Das ist Marktmacht, zum Nachteil aller Bürger*innen. Die EU-Politik verhindert nicht, dass Konzerne marktbeherrschend werden. Sie greift erst ein, wenn diese Stellung missbraucht wird. Leider ist es dann für die Medienvielfalt meist zu spät. Denn um die schwindende Medienvielfalt richtig zu erfassen, reichen Marktanalysen, Werbeanteile und Zuschauerzahlen nicht aus. Wir brauchen Inhaltsanalysen der Programme, Sendearten und Nachrichten. Diese sucht man jedoch vergebens.

Die EU müsste viel mehr tun, um das Grundrecht der Presse- und Medienfreiheit zu schützen. Die jetzige Ausnahmesituation durch die Coronakrise zeigt und verstärkt bestehende Probleme. So ist die Medienfreiheit nicht nur in Ungarn in Gefahr, wo Premier Orbán längst 78 Prozent aller Nachrichten kontrolliert.

Im Kampf um Werbeeinnahmen zwischen den analogen und den digitalen Medien werden die Arbeitsbedingungen vieler Journalist*innen immer unsicherer. Viele müssen seit Jahren als (Schein-)Selbstständige arbeiten, die billig und schnell berichten sollen. Ihr Zugang zu sozialer Sicherung ist eingeschränkt. Jetzt gehen die Corona-Hilfsgelder meist an ihnen vorbei. Auch viele kleinere, alternative und Exilmedien werden bei den Hilfstöpfen vergessen. So werden sich die Großkonzerne noch mehr Marktanteile holen.

Dort, wo die EU tätig war, um die Medienfreiheit zu stärken, schlafen jetzt ihre Mitgliedstaaten. Eigentlich müssen alle 27 EU-Staaten bis September 2020 die »Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie« umsetzen. Damit sollen digitale Plattformen - wie Youtube - redaktionelle Verantwortung übernehmen wie der analoge Rundfunk. Auch Werbung, der Umgang mit Falschnachrichten, Kinder- und Jugendschutz werden darin geregelt. Doch in den meisten EU-Ländern ist noch gar nichts passiert. Für die Linkspartei geht diese Richtlinie in die richtige Richtung, aber sie reicht nicht, um die Herausforderungen der digitalen Medienwelt - wie bei Fake News etc. - anzunehmen.

Das Europaparlament beschäftigt sich nun erneut mit der Medienfreiheit. Und hofft, so die Mitgliedstaaten wachzurütteln. Wo haben alternative Medien noch Platz? Wie werden Fake News verhindert? Was brauchen Journalist*innen für gute Arbeit? Welchen Schutz brauchen sogenannte »Whistleblower«, also Quellen? Diese zentralen Fragen müssen EU-weit beantwortet werden.

Doch um das ganze Ausmaß der Medienkonzentration zu sehen, brauchen wir mehr unabhängige Forschung, Netzwerke, Nichtregierungsorganisationen. So vernetzt das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig europaweite Analysen zu bedrohter Medienfreiheit. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen diese Organisationen viel mehr fördern. Und deren Wissen nutzen, um bessere Gesetze und Regeln zum Schutz der Journalist*innen und der Medienfreiheit zu machen. Sonst werden unsere Demokratien weiter Schaden nehmen.