nd-aktuell.de / 15.05.2020 / Politik / Seite 9

Kampf um die »Hütten«

Beim Getriebebauer Voith widersprechen die Beschäftigten der Standortlogik ihrer Konzernführung

Hans-Gerd Öfinger

Die Streikfront steht wie am ersten Tag. Seit drei Wochen kämpfen 500 Beschäftigte für die Zukunft des traditionsreichen Getriebebauers Voith in Sonthofen (Allgäu) und für einen Sozialtarifvertrag. Ein Ende des Streiks ist nicht in Sicht. Wie Bayerns IG Metall-Bezirksleiter Johann Horn am Donnerstag bei einer Pressekonferenz vor dem bestreikten Betrieb mitteilte, sei ein Einigungsstellenverfahren über einen Interessenausgleich zwischen dem Unternehmen und dem Gesamtbetriebsrat gescheitert. Auch ein weiteres Alternativkonzept der IG Metall zur Fortführung des Standortes mit reduzierter Belegschaft habe die Voith-Konzernzentrale im württembergischen Heidenheim abgelehnt. »Wir haben dem Unternehmen die Hand gereicht, Voith hat das ausgeschlagen«, so der Metaller. »Die Beschäftigten in Sonthofen haben zwei Finanzinvestoren überstanden. Jetzt will ein schwäbisches Familienunternehmen ihre Arbeitsplätze vernichten, um durch Verlagerungen Kosten einzusparen«, kritisierte Horn.

Voith ist ein Weltkonzern in Familienhand. Die Familie Voith gehört zu den reichsten Milliardären der Republik, lässt dem Management weitgehend freie Hand und beschränkt sich somit auf die Rolle als klassische »Couponschneider«, die von den Dividenden leben.

Die drohende Schließung des größten Betriebes im Raum Sonthofen wäre für die Region eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe. Viele Beschäftigte sind Kinder, Enkel und Urenkel ehemaliger Voith-Arbeiter und haben im Vertrauen auf sichere Arbeitsplätze rund um die südlichste Stadt der Republik ein Eigenheim gebaut. Eine mit Umzug verbundene Weiterbeschäftigung in einem fernen Voith-Standort oder ein Schicksal als Wochenendpendler kommt für sie nicht in Frage. Auch dies erklärt den zähen Kampf um die »Hütte«, wie der Betrieb im Volksmund genannt wird. »Der Zusammenhalt der Belegschaft ist der Wahnsinn«, so die Betriebsratsvorsitzende Birgit Dolde. Auch der Allgäuer DGB-Regionschef Ludwin Debong hatte sich jüngst zutiefst beeindruckt von der Geschlossenheit, dem Zusammenhalt und der Motivation der Streikenden gezeigt.

Da die Auftragsbücher für den Sonthofener Betrieb noch voll sind, haben die Streikenden ein starkes Druckmittel in der Hand. Auch Angestellte aus der Entwicklung und Konstruktion streiken mit. Umso mehr sorgt für Wut, dass die Geschäftsleitung Streikbrecher anzuheuern versucht und per Gerichtsbeschluss Blockadeaktionen untersagen ließ, mit denen die Streikenden den Abtransport von Teilen verhindern wollten.

Die Konzernspitze im württembergischen Heidenheim setzt auf weniger und größere Standorte und zeigt kein Interesse an dem erst 2007 erworbenen Sonthofener Betrieb. »Strukturanpassungen an mehreren deutschen Standorten« seien für die »Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Konzernbereichs« notwendig, so die Antwort auf eine »nd«-Anfrage. Auch in der Fabrik in Zschopau (Sachsen) sollen nach dem Willen der Zentrale bald die Lichter ausgehen. Dafür soll die Produktion der Voith-Turbosparte in Crailsheim (Baden-Württemberg) gestärkt werden. Alternativvorschläge von Betriebsräten, IG Metall und Belegschaft stoßen bei den Managern auf taube Ohren. Zwar stellen im 16-köpfigen Aufsichtsrat die Arbeitnehmervertreter die Hälfte. Doch entscheidend ist das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Siegfried Russwurm. Er gilt als loyaler Vertreter von Konzerninteressen und ist gleichzeitig Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp sowie Mitglied des Beirats des westfälischen Fleischkonzerns Tönnies.

Um der von der Konzernführung geschürten Standortkonkurrenz entgegenzuwirken, legen die Betriebsräte der einzelnen Voith-Niederlassungen nach Insiderangaben großen Wert auf Zusammenhalt. Sie haben ein gemeinsames Konzept erstellt, mit dem die Weiterführung aller Betriebe gesichert werden könnte. In diesem Konzept nehmen die Betriebsräte einen Arbeitsplatzabbau auch im Crailsheimer Betrieb mit derzeit rund 1000 Beschäftigten hin, allerdings ohne betriebsbedingte Kündigungen. Demnächst wollen Streikende aus Sonthofen einen Abstecher in das 220 Kilometer nördlich gelegene Crailsheim machen und die dortigen Beschäftigten direkt über ihren Kampf informieren.

Dass der Betrieb trotz schwarzer Zahlen geschlossen werden soll, macht viele fassungslos. »Mir ist einmal mehr klar geworden, dass es einfach falsch ist, dass Unternehmen in diesem Land nach Gutsherrenart schalten und walten können«, so die Allgäuer Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl.