nd-aktuell.de / 16.05.2020 / Sport / Seite 27

Verspielte Liebe

Für den Neustart der Bundesliga hat sich der Profifußball entblößt.

Alexander Ludewig

Auch die neuesten Zahlen sprechen gegen den Profifußball. In der Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend lehnen 56 Prozent der Befragten den Neustart der Bundesliga an diesem Wochenende ab, im ZDF-Politbarometer votierten sogar 62 Prozent für einen Abbruch der Saison. Im Weg steht das dem Anpfiff zum 26. Spieltag in der ersten und zweiten Liga natürlich nicht.

Die Ablehnung ist angesichts weiterhin großer gesellschaftlicher Beschränkungen verständlich. Der Sport selbst hat aber ebenso viel dafür getan, um seine Beliebtheit - zumindest vorübergehend - zu verspielen. Statt mit Stars und Emotionen zu werben, wurde über Wochen und wie nie zuvor betont, dass es sich hier um einen Wirtschaftszweig handelt, in dem Unternehmen in Konkurrenz stehen, deren Produkt der Fußball ist. Diese abgebrühte Argumentation durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) und ihre 36 Klubs war nötig, um die politische Spielerlaubnis zu bekommen. Die Gunst der in dieser Krisenzeit wichtigsten Unterstützer haben sie damit also gewonnen.

In diesem Vorgang haben einige Beobachter dem Profifußball die bislang verborgen gebliebene Eigenschaft Demut zugeschrieben. Pragmatismus trifft es wohl eher. Dafür genügt ein Blick nach München. Am Donnerstag vermeldete der Dauermeister: »Der FC Bayern und die chinesische Kurzvideo-Plattform Douyin starten ab sofort eine Partnerschaft.« Weil Douyin, außerhalb Chinas als TikTok bekannt, eine »wachstumsstarke und die aktuell beliebteste Social-Media-Plattform« ist. Von einem »nachhaltigen Plan« schrieben die Münchner. Business as usual. Die Vorfreude auf eine unbeschwerte Zeit im nächsten Trainingslager in Katar ist bestimmt auch schon riesig.

Dass gerade das nachhaltige Streben nach stetem Wachstum und Kommerzialisierung einige Vereine im Falle eines Saisonabbruchs direkt in die Insolvenz geführt hätte, wurde zuletzt häufig kritisiert. Noch ist die von der DFL und ihren Klubs allseits gelobte Besserung nichts mehr als eine leere Versprechung. Denn jetzt gehen die Spiele ja wieder los. Und wie: »Wenn die Bundesliga als einzige große Liga rund um den Globus im TV übertragen wird, dann gehe ich davon aus, dass wir ein Milliardenpublikum haben werden«, freut sich Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf satte Zugewinne in der Coronakrise.

Grundsätzlich sind Wunsch und Wille eines jeden verständlich, schnellstmöglich in die Normalität zurückzukehren. Die Absurdität im Falle des Profifußballs entlarvte Christian Seifert vermutlich unfreiwillig. »Ich hoffe, dass die Spieler an alles denken und schon den Corona-Torjubel üben - selbstverständlich mit Abstand«, sagte der DFL-Chef jüngst mit Blick auf den Neustart der Bundesligen. Er weiß um die Kraft der Bilder - trotz und vor allem angesichts der zahllosen Zweikämpfe in Trainingseinheiten und Bundesligaspielen.

Einen realistischen, also ungefilterten Einblick in die Welt des Profifußballs gab Salomon Kalou. Der Fußballer von Hertha BSC hatte vor knapp zwei Wochen seine Ankunft im Kabinenbereich des Vereins gefilmt und veröffentlicht. Zur Begrüßung reichte er ein paar Leuten die Hand - sie schlugen ein. Darunter waren nicht nur Profis, auch der Athletiktrainer. Das hochgelobte Hygienekonzept der DFL wurde komplett missachtet, mit einem sorglosen Lächeln bei allen Beteiligten. Alltag eben, ohne Abstand. Und wo war eigentlich der vorgeschriebene Hygienebeauftragte des Klubs, der die Einhaltung der Regeln ständig überwachen soll?

Diese und andere existenzielle Fragen stellten sich die Verantwortlichen nicht. Hart durchgegriffen wurde dennoch: Der ivorische Stürmer wurde von seinem Verein suspendiert und war plötzlich der Staatsfeind Nummer eins im Reich des deutschen Profifußballs. Deshalb meint Peter Dabrock, dass man Kalou im Grunde dankbar sein müsse. »Wenn wir uns über ihn so aufregen und gleichzeitig akzeptieren, dass einige Tage später alles, was im Fußball normal ist, wieder sein darf, dann zeigt das noch einmal mehr die Scheinheiligkeit des gesamten Konzeptes. Es zeigt, wie überreizt dieses ganze Konzept ist und dass man an dieser Stelle den Sündenbock gefunden hat«, sagte der Theologieprofessor, der bis April auch Vorsitzender des Deutschen Ethikrats war.

Bestimmt litten unter der Veröffentlichung von Kalous Handyvideo auch die Umfragewerte des Profifußballs. Die Entscheidungsträger wussten sich zu helfen - und griffen zur Einzeltätertheorie. Politisch ist sie umstritten, wenn damit größere Zusammenhänge verschwiegen werden sollen. Beliebt ist sie schon lange bei Fußballfunktionären, wenn es beispielsweise um Korruption geht. Jedenfalls wusste der Manager des kleinen bayerischen Zweitligisten Greuther Fürth, Rachid Azzouzi, sofort: »Bisher hat sich ein Spieler dumm und verantwortungslos verhalten. Wir haben in Deutschland aber 1200 Profis, die sich meiner Meinung nach sehr diszipliniert verhalten.« DFL-Chef Seifert ging noch weiter und versuchte damit die schon länger gewachsene Skepsis gegenüber dem Profifußball zu erklären: »Offensichtlich hat die Bundesliga durch einige Bilder, die sie selbst produziert hat, Stichwort ›goldene Steaks‹, teilweise ein Bild von sich erzeugt, das ein Teil der Menschen nicht akzeptieren kann.«

Es gibt noch eine Umfrage. Die Internationale Spielergewerkschaft Fifpro vermeldete, dass von mehr als 1000 befragten Profis nur 56 Prozent unbedingt dafür seien, das Training und die Saison unter strikten Hygieneregeln wieder aufzunehmen. Die Sorge um die Gesundheit der Spieler und ihrer Angehörigen steht wohl nicht an erster Stelle.