nd-aktuell.de / 19.05.2020 / Politik / Seite 6

Krise ersetzt keine Politik

Österreichs Umweltministerin Gewessler möchte in der Corona-Pandemie die wirtschaftlichen Ziele neu setzen

Stefan Schocher

Die ÖVP will die Coronakrise nutzen, um den Koalitionsvertrag mit Ihren Grünen nachzuverhandeln. Erstes Opfer sollen die Umweltziele sein. Hat Ihnen diese Krise einen Strich durch die Rechnung gemacht oder steckt in den gegenwärtigen Veränderungen auch eine Chance?

Was man in der Coronakrise gerade spürt, ist, wie sich Krise anfühlt. Wir sehen aber auch, dass man die Coronakrise mit Konsequenz, mit Durchhaltevermögen, mit dem Hören auf die Wissenschaft und bald hoffentlich auch mit einer Impfung in den Griff bekommen kann. Aber wenn die Klimakrise einmal da ist, dann bleibt sie und dann wird der Krisenzustand zum Dauerzustand. Impfung wird es dagegen keine geben. Daher ist es so wichtig, den Weg aus der Coronakrise dafür zu nützen, die Weichen richtig zu stellen. Nicht nur im Kampf gegen die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftskrise, sondern auch im Kampf gegen die Klimakrise. Und da bin ich sehr zuversichtlich.

Aber nehmen Sie denn ein großes Bekenntnis zu diesem Thema seitens Ihres Koalitionspartners wahr?

Wir stehen beim Weg aus dieser Krise wirklich vor einer außergewöhnlichen Situation: Aber das bedeutet, wir werden klug investieren müssen. Und klug investieren heißt, jetzt in den Klimaschutz zu investieren. Denn Klimaschutz ist das beste und zukunftsweisendste Konjunkturprogramm. Klimaschutz ist eine tragende Säule des Konjunkturprogramms - der gesamten Bundesregierung selbstverständlich.

Im Regierungsabkommen kommt das Wort Klima 243 Mal vor. Und da ist jetzt immer öfter die Rede davon, dass man dieses Abkommen nachverhandeln wird. Wo ist da Spielraum?

Das Regierungsprogramm steht. Aber natürlich diskutieren wir jetzt darüber, welche Maßnahmen wir aufgrund der aktuellen Situation vorziehen können. Und da sind auch Klimaschutzmaßnahmen dabei. Beispiel Infrastruktur: Wenn ich Bahninfrastruktur baue, schaffe oder sichere ich nicht nur Arbeitsplätze. Ich schaffe nachhaltige Investitionen in den Klimaschutz und vor allem auch regionale und lokale Wertschöpfung.

Die Finanzlage ist völlig unklar. Und Ihr Ressort ist eines, in das die ganz großen Ausgaben hineinfallen: Bahnausbau, Infrastruktur. Wie kann man da arbeiten?

Wir diskutieren ja gerade das Budget 2020 im Haushaltsausschuss. Da sind einige deutliche Schwerpunkte im Klimaschutz aus dem Regierungsprogramm jetzt schon abgebildet: zentrale Maßnahmen wie eben der Bahnausbau oder die Förderung der aktiven Mobilität, die Energiewende, die thermische Sanierung. Und gerade beim Infrastrukturausbau gibt es ja langfristige Planungssicherheit durch langfristige Investitionspläne.

Lässt sich eine Gesellschaft durch eine Krise wirklich fundamental ändern?

Selbstverständlich können sich Gesellschaften verändern. Krisen sind immer Zäsuren. Es sind auch Zeiten, in denen man sich auf dem Weg aus der Krise sehr bewusst für Weichenstellungen entscheiden kann. Und man kann auch manche Dinge, die man in dieser Krise gesehen oder gelernt hat, mitnehmen in den Kampf gegen die Klimakrise. Es ist sehr sichtbar geworden, wie sehr unsere Wirtschaft international verflochten ist und zu welchen Abhängigkeiten das führt. Aber Krise ersetzt keine Politik - auch keine Klimapolitik. Und daher ist es so wichtig, dass wir jetzt die Rahmenbedingungen richtig setzen.

Seitens der EU wurden dahingehend Ziele aus der Krise erneut formuliert. Ist das ausreichend?

Ursula von der Leyen hat ja zu Beginn ihres Mandats den Green-Deal präsentiert, nicht nur als die zentrale Klimastrategie für die EU, sondern als die zentrale Wirtschaftsstrategie. Und ich glaube, dieser Deal kann seine Stärken gerade jetzt ausspielen. Wir investieren in einen Wiederaufbau, einen Neustart unserer Wirtschaft, aber so, dass wir langfristig in eine richtige Richtung gehen - nämlich in Richtung Klimaneutralität bis im Jahr 2050.