nd-aktuell.de / 27.05.2020 / Kultur / Seite 7

Böse Überraschungen

Die USA gegen Eisler und Assange - ein historischer Vergleich

Ronald Friedmann

Am 19. Mai sollte vor einem Londoner Gericht das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange fortgesetzt werden. Coronabedingt erfolgte dies nicht. Der ungeheuerliche Vorgang ist damit allerdings nur aufgeschoben, vermutlich in den Herbst hinein, aber nicht aufgehoben. Es ist nicht das erste Mal, dass US-amerikanische Behörden versuchen, mit Hilfe der britischen Justiz einen politischen Gegner in ihre Gewalt zu bekommen.

Im Juni 1941 befand sich der deutsche Kommunist Gerhart Eisler auf dem Weg ins mexikanische Exil. Zwei Jahre war er in Frankreich interniert gewesen, bevor ihm die dortigen Behörden die Ausreise nach Mexiko gestatteten, das ihm und vielen anderen deutschen Antifaschisten Zuflucht gewährt hatte. Doch seine Reise endete bereits bei einem planmäßigen Zwischenstopp in New York - die US-Regierung hatte als Maßnahme gegen Hitlers »Fünfte Kolonne« beschlossen, allen Deutschen und Österreichern, unabhängig von ihrer politischen Haltung, die Weiterreise nach Lateinamerika zu untersagen. Eisler musste sich nun darauf einstellen, die Jahre des Exils in den USA zu verbringen.

Das war keine gute Nachricht für ihn. Denn er hatte bereits zwischen 1933 und 1936 illegal in den USA gelebt und dort unter dem Namen »Genosse Edwards« als Vertreter der Kommunistischen Internationale bei der Führung der Kommunistischen Partei der USA gearbeitet. Im Sommer 1935 hatte er sogar als offizieller Delegierter der US-amerikanischen KP am VII. Weltkongress in Moskau teilgenommen.

Bei seinem erzwungenen zweiten Aufenthalt in den USA musste sich daher der Bruder des Komponisten Hanns Eisler und der zeitweiligen KPD-Vorsitzenden Ruth Fischer äußerste Zurückhaltung auferlegen. Zwar engagierte er sich in der New Yorker Parteiorganisation der deutschen Kommunisten. Und er spielte eine wichtige Rolle bei den Bemühungen, im US-amerikanischen Exil eine deutsche Volksfront gegen Krieg und Faschismus zu schaffen. Doch vermied er aus naheliegenden Gründen jeden offensichtlichen Kontakt zu führenden Vertretern der Kommunistischen Partei der USA.

Sofort nach Kriegsende bemühte sich Eisler bei den US-amerikanischen Behörden um eine Ausreisegenehmigung, doch erst Ende Juli 1946 erhielt er die Erlaubnis, die USA zu verlassen. Kurz darauf wurde er vom FBI erstmals zu einem Verhör vorgeladen, das aus »Höflichkeit« als »Gespräch« bezeichnet wurde und ihn - zu seiner bösen Überraschung - mit seiner Vergangenheit als »internationaler Kommunist« konfrontierte. Doch nichts deutete darauf hin, dass seine Ausreise aus den USA in Gefahr sein könnte. Das ändert sich erst Mitte Oktober 1946: Ein früherer langjähriger Redakteur der kommunistischen Parteizeitung »Daily Worker« hatte die Seiten gewechselt und war nun mit »sensationellen Enthüllungen« an die Öffentlichkeit gegangen. Er erklärte Eisler zum allmächtigen »Agenten der Komintern« und zum »Kommunisten Nummer 1 der USA«, der der wahre Chef der KP der USA sei. Dabei wurde sein »Kenntnisstand« über die angebliche Rolle Eislers umso größer, je länger die Kampagne dauerte. Offensichtlich wurde er vom FBI mit weiteren Informationen »gefüttert«.

Die Ausreise Eislers hatte sich damit erledigt, schlimmer noch. In den folgenden zweieinhalb Jahren wurde der Publizist zum Ziel einer permanenten Hexenjagd, die in der öffentlichen Feststellung gipfelte, er sei der »Boss aller Roten in Amerika« und ein »Atomspion auf der Flucht«. Über Monate hinweg wurde er demonstrativ durch das FBI überwacht. Er wurde vom berüchtigten »Komitee für unamerikanisches Verhalten« des US-Kongresses vorgeladen, um dort gegen seine Genossen auszusagen. Als er vor seiner Vereidigung eine Erklärung abgeben wollte, wurde er wegen »Missachtung des Kongresses« kurzerhand vor Gericht gestellt und zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Es folgte eine weitere Verurteilung zu einer Haftstrafe wegen »Steuerhinterziehung«, da er die monatlichen Zuschüsse, die er von einem Flüchtlingskomitee erhalten hatte, nicht deklariert hatte. Er blieb zunächst in Freiheit, weil seine Anwältin sofort in Berufung ging. Doch im Frühjahr 1949 wurde endgültig klar, dass er tatsächlich Gefahr lief, viele Jahre in einer US-amerikanischen Haftanstalt zu verbringen.

Im Mai 1949 entschloss sich Eisler daher zur Flucht aus den USA. Auf abenteuerliche Weise gelangte er unerkannt an Bord des polnischen Passagierschiffes »Batory«, das im Linienverkehr zwischen den USA und Europa unterwegs war. Als das Schiff die Hoheitsgewässer der USA verlassen hatte, meldete sich Eisler beim Kapitän und bezahlte seine Überfahrt. Über Funk erhielt er von der polnischen Regierung die Zusicherung freien Geleites. Doch auch die US-Regierung hatte von Eislers Flucht erfahren und verlangte nun von der britischen Regierung, diesen bei einem geplanten Zwischenstopp in Southampton zu verhaften und an die USA auszuliefern. Tatsächlich wurde Eisler in Southampton gegen alle Regeln des Seerechts von der britischen Polizei mit Gewalt von Bord gebracht und nach London transportiert, wo das zuständige Gericht über die US-amerikanische Auslieferungsforderung entscheiden sollte.

Seine Vertretung übernahm Denis Nowell Pritt, ein bekannter britischer Kronanwalt, der fünfzehn Jahre zuvor den Londoner Gegenprozess zum Leipziger Reichstagsbrandprozess geleitet hatte. Jahrzehnte später schrieb Pritt in seinen Memoiren: »Dieser ganze Vorfall war ein Höhepunkt der Unterwürfigkeit unserer Regierung gegenüber den USA. Es handelte sich nicht nur um eine ungesetzliche Verhaftung, sondern auch um die Ingangsetzung eines unbegründeten Strafverfahrens in der Absicht, Eisler den Amerikanern auszuliefern.« Pritt beklagte die »Arroganz und Unverblümtheit der USA in jener Periode, ihre Überzeugung, dass die britische Regierung nichts weiter als ihr Lakai sei, der ihren Befehlen zu gehorchen habe.« So habe die US-Regierung gedroht, dass »die Freilassung Eislers die künftige Marshallplan-Hilfe für Großbritannien gefährden würde.«

Dennoch war Pritt von Anfang an optimistisch gewesen. Seinen Mandanten hat er mit der Feststellung begrüßt: »Endlich haben wir einen politischen Prozess, den wir gewinnen können.« Eisler war skeptisch geblieben, doch Pritt behielt recht: Der Antrag des US-Vertreters hatte einen so offensichtlich politischen Charakter und stand so unbestreitbar in Widerspruch zu den einschlägigen Bestimmungen des bilateralen Auslieferungsabkommens, dass das Londoner Gericht keine andere Möglichkeit hatte, als Eisler trotz des massiven Drucks aus Washington freizulassen. Für diese Blamage rächten sich die US-Behörden in den folgenden Wochen und Monaten an der Besatzung und den Passagieren der »Batory«, die im New Yorker Hafen regelmäßig einer schikanösen Behandlung unterworfen wurden. Eisler aber gelangte an sein Ziel, die damalige Sowjetische Besatzungszone Deutschlands.