nd-aktuell.de / 28.05.2020 / Berlin / Seite 10

Straße der Befreiung vom Auto

Auf der Frankfurter Allee in Berlin-Friedrichshain weicht in beiden Richtungen eine Fahrspur Radwegen

Nicolas Šustr

Etwas ratlos halten die Bauarbeiter die Blumen in der Hand, die ihnen gerade zwei Anwohnerinnen in die Hand gedrückt haben. Der eine hatte noch versucht abzuwehren. »Die sind doch eh vertrocknet, bis ich Feierabend habe«, so sein Argument. Doch diesen Einwurf lassen die Frauen nicht gelten. Sie freuen sich sehr, als es am Mittwochmorgen losgeht mit den Markierungsarbeiten. Zwischen Voigt- und Proskauer Straße stadteinwärts wird die rechte Fahrspur zum temporären Radweg. Die ersten Meter gelbe Markierung sind aufgebracht, auch einige Verkehrsbaken stehen schon an ihrem Platz.

Profitieren werden nicht nur die Zweiradfahrer von dem deutlich breiteren Weg, sondern ganz besonders Fußgänger. Anwohner Chris Lopatta steht mit Nachwuchs am westlichen Ausgang des U-Bahnhofs Samariterstraße und zeigt auf die gefährliche Situation. Denn zwischen der Treppe und dem Bürgersteig liegt der dort nochmal schmalere Radweg. Die Radler sehen die querenden Fahrgäste oft erst im letzten Moment, diese wiederum registrieren oft nicht, dass der Radweg kreuzt. »Ich freue mich, dass diese Gefahrenstelle verschwindet«, sagt Lopatta und überreicht seine Blumen der Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Denn die Bauarbeiter sind noch einige Hundert Meter weiter östlich zugange.

Straße der Befreiung wurde der Straßenzug zu DDR-Zeiten wegen der von Osten zum Ende des Zweiten Weltkriegs heranrückenden Roten Armee gerne genannt. Nun wird der Autoverkehr zunehmend zurückgedrängt. In Mitte sind auf der Karl-Marx-Allee die Bauarbeiten für eine breite Radspur in vollem Gange. In Friedrichshain sollen in ein bis zwei Wochen die Arbeiten für einen dauerhaften Radweg ab der Niederbarnimstraße stadtauswärts beginnen, kündigt Olaf Rabe, Leiter des Fachbereichs Straßen im bezirklichen Straßen- und Grünflächenamt an. »Wir warten nur noch auf die verkehrsrechtliche Anordnung aus der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz«, sagt er. Ein bis zwei Monate wird dann gebaut, dann soll auch dort die noch vom einstigen Verkehrs- und heutigen Innensenator Andreas Geisel (SPD) 2016 angekündigte Radspur den jetzigen rechten Fahrstreifen ersetzen.

»Wir wollen mit den temporären Radspuren zeigen, dass so etwas auch in Berlin deutlich schneller gehen kann«, sagt Bezirksbürgermeisterin Herrmann. Und sie bekräftigt, dass diese Radstreifen auch bleiben sollen. »Aus dem gelben Streifen wird dann ein breiter weißer Streifen und die Baken werden dann durch fest montierte Leitboys ersetzt«, sagt Straßenexperte Olaf Rabe.

Doch die Parktaschen zwischen den Bäumen könnten noch ein Problem werden. Deswegen können dort keine Baken aufgestellt werden. Perspektivisch sollen diese nur noch von Lieferanten und Paketdienste genutzt werden können. Auf die Frage, ob damit nicht eine ähnliche Situation wie auf der Kantstraße droht, wo der neu markierte Pop-up-Radweg sehr oft zugeparkt ist, sagt Rabe: »Wir werden die Situation beobachten.« Der Respekt vor der gelben Markierung bleibt also abzuwarten, wenn auch Monika Herrmann erklärt: »Der ästhetische Wert der Poller sorgt durchaus für Diskussionen. Aber solange die Regeln nicht respektiert werden, führt kein Weg daran vorbei.«

Vorwürfe, dass diese Radwege quasi überfallartig ohne ausreichende demokratische Legitimation angelegt worden sind, lässt Herrmann nicht gelten. »Sie sind im Bezirklichen Radverkehrsplan festgelegt worden, der in der Bezirksverordnetenversammlung diskutiert und beschlossen worden ist«, so die Bezirksbürgermeisterin. »Da ist nichts heimlich.« Am Mittwochabend sollte die BVV nach der Zustimmung des Verkehrsausschusses auch den Friedrichshain-Kreuzberger Fußverkehrsplan beschließen.

Auf den Hauptverkehrsstraßen ist eigentlich die Senatsverkehrsverwaltung für die Planung der Radwege zuständig. »Derzeit ist es so, dass die Senatsverwaltung unsere Planung nur prüft und genehmigt«, sagt Olaf Rabe.