nd-aktuell.de / 29.05.2020 / Politik / Seite 5

Ganz Frankreich privat

Nach heftiger Debatte stimmt Nationalversammlung in Paris für StopCovid-App

Ralf Klingsieck, Paris

StopCovid, das umstrittene Trackingsystem per Mobiltelefon, ist am Mittwochabend von der Nationalversammlung und in der Nacht zum Donnerstag auch vom Senat mit großer Mehrheit angenommen worden. Damit kann es am kommenden Dienstag in Betrieb genommen werden. Die App soll Ansteckungsgefahren registrieren und ein neuerliches Aufflammen der Coronavirusepidemie abwenden. Die Regierung hatte die Einführung schon für den 11. Mai geplant, als die Ausgangssperre aufgehoben wurde, musste sie aber wegen heftigen Widerstands aufschieben. Die Teilnahme ist freiwillig und angesichts der seit Wochen geführten Debatte über Vor- und Nachteile ist völlig offen, wie viele Franzosen mitmachen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat die Regierung Wert darauf gelegt, dass das System vom Parlament gebilligt wird, obwohl es auch per Dekret hätte in Kraft gesetzt werden können. In der Nationalversammlung, wo vier Stunden lang debattiert worden war, stimmten schließlich 388 Abgeordnete dafür und 255 dagegen, während sich 21 der Stimme enthielten. Die Gegenstimmen kamen nicht nur von der linken wie der rechten Opposition, sondern auch von einigen Abgeordneten der die Regierung tragenden Bewegung En marche.

Das System beruht darauf, dass die Mobiltelefone, auf denen StopCovid geladen wurde, einander per Bluetooth erkennen und diese flüchtigen Begegnungen werden zentral registriert. Alarm wird ausgelöst, wenn es eine Annäherung von weniger als einem Meter über mindestens 15 Minuten - beispielsweise im Bus oder der Metro - mit einer Person gegeben hat, von der die Gesundheitsbehörden wissen, dass sie Trägerin des Virus ist. Die ansteckungsgefährdete Person wird dann kontaktiert und aufgefordert, sich testen zu lassen und bei positivem Befund für 14 Tage nicht das Haus zu verlassen. Wenn all diese Schritte konsequent eingehalten werden, könne ein neues Aufflackern oder gar eine »zweite Welle« der Epidemie abgewendet werden, sind sich Epidemiologen sicher und konnten davon auch die verantwortlichen Regierungspolitiker überzeugen.

Die Tracking-Gegner warnen vor allem vor der Gefahr, dass durch das System in die Privatsphäre eingegriffen wird und persönliche Daten gesammelt und abgeglichen werden, von denen niemand sicher sein kann, dass sie nicht früher oder später für andere als die angegebenen Zwecke missbraucht werden.

Dem versucht die Regierung zu begegnen, indem sie die Freiwilligkeit herausstellt. Sie versichert, dass es keine Ortung der Begegnungen geben wird und dass die Daten automatisch nach 14 Tagen gelöscht werden. Außerdem werde die Datensicherheitsbehörde CNIL, die grünes Licht für das System gegeben hat, die Anwendung laufend überprüfen.

In der Parlamentsdebatte lehnte Jean-Luc Mélenchon, der Fraktionsvorsitzende der Bewegung La France insoumise, das System vehement ab, weil es die Persönlichkeitsrechte verletze. »Ich will nicht, dass irgendjemand weiß und registriert, mit wem ich eine Viertelstunde lang auf weniger als einen Meter Distanz zusammen war. Das ist normalerweise die Zeit eines Kusses«, sagte er. »Das geht niemanden etwas an.« Außerdem bringe StopCovid nichts, da von den Franzosen, die älter als 70 sind und so zur höchsten Risikogruppe gehören, nur 44 Prozent ein Mobiltelefon besitzen. Auch Damien Abad von den rechtsbürgerlichen Republikanern attackierte die Regierung. »Entweder das System ist freiwillig und dadurch von vornherein zum Scheitern verurteilt«, sagte er, »oder es ist obligatorisch und dann verletzt es das Menschenrecht der Selbstbestimmung.« StopCovid sei eine »Totgeburt«, meinte der Abgeordnete Sacha Houlié von der Regierungsbewegung En marche. Obwohl er das Tracking ablehnt, schickte ihn seine Fraktion in die Debatte. Houlié verwies auf Studien in Großbritannien und der Schweiz, wonach sich an einem solchen Ortungs- und Verfolgungssystem mindestens 60 Prozent der Bürger beteiligen müssten, damit es wirksam sein kann. In Frankreich rechnet selbst der für Digitaltechniken zuständige Staatssekretär mit höchstens 30 Prozent.