nd-aktuell.de / 30.05.2020 / Kultur / Seite 11

Es hat Bumm gemacht!

Drei freundliche Herren von der Sterbehilfe: Die Calimeros, Europas »erfolgreichstes Schlager-Trio«, schunkeln sich seit fast vier Jahrzehnten durch die Welt. Soeben erschien ihre neue CD

Thilo Bock

Pünktlich zum 8. Mai, dem 75. Jahrestag der Befreiung, warfen die Calimeros aus der Schweiz über deutschen Dörfern »Sommer, Sonne, Honolulu« ab. So heißt ihre neue CD.

Es sei ihr »47. oder 48. Album«, schreibt die Gruppe. Wenn man als Band seit nahezu 40 Jahren existiert, kann man schon mal die Übersicht verlieren. Europas angeblich »erfolgreichstes Schlager-Trio«, das sind drei grinsende grenzdebile Herren im Partnerlook mit einem Hüftschwung wie dem von Eintänzern beim Tanztee in der Tagesklinik.

Um die Menschheit schonend auf diese Veröffentlichung vorzubereiten, bringt das »Deutsche Musikfernsehen«, ein Sender, der Schlagermusikshows mit Dauerwerbesendungen kombiniert, ein 90-minütiges »Special« mit Interviews vor der Palmentapete und Videos, in denen die drei Calimeros eine menschenleere spanische Dorfgasse erst in die eine Richtung hoch- und dann in die andere Richtung hinunterwackeln und Lieder mit Titeln wie »Playa Blue«, »Hasta maniana«, »In den Süden mit dem Silverbird« und natürlich »Sommer, Sonne, Honolulu« darbieten, mit viel Schmelz auf allen Tonspuren. Der Calimeros-Sound, so heißt es, sei Musik mit hohem Wiedererkennungswert. Und das stimmt: Jeder Song klingt wie der davor und der danach.

Wer die CD sofort vorbestellt, bekommt sie zwei Euro billiger - wobei nicht verraten wird, wie hoch der Preis überhaupt ist, nur dass man auch noch einen exklusiven Calimeros-Kugelschreiber dazubekommen wird. Das ist ein bisschen so wie bei Käsepaule auf dem Markt. Und passt ja. Sind ja Schweizer. Zwei Herren mit Mundwinkelkrampf, die aus der Geriatrie geflohen sind, in die sie wegen einer rätselhaften Frühvergreisung einst eingewiesen worden waren. Auf der Flucht haben sie den deutlich jüngeren Keyboarder gekidnappt, der in einem fort nonverbale Signale ans Publikum sendet: Hilfe, ich werde gezwungen, hier mitzumachen. Sie haben mir die linke Hand ans Umhängepiano getackert, und mit der rechten muss ich die ganze Zeit die gleichen zwei Töne spielen.

Im Interview gesteht der ausgebildete Konzertpianist und passionierte Spaziergänger Christian Antonius Müller, dass er nicht der Schnellste sei und der Rest ihm reichlich egal. Oder in seinen Worten: »Ich passe mich da an. Ich unterordne mich.« Und der knautschgesichtige Gitarrist Andy Rynert gibt freimütig zu, dass er am liebsten meditiere. Anders ist dieses schnelle Schlagerbusiness wohl nicht zu ertragen für einen Schweizer.

Während seine Bandkollegen das also alles eher fürs Geld machen, ist Sänger Roland Eberhart mit dem Herzen dabei. Die Calimeros sind sein Projekt. Und das seit einem legendären Vereinsabend des Sportclubs von Uetendorf im Jahr 1976. Da war der Mann gerade mal 20. Seitdem schunkelt er sich so durch mit seiner Stimmungsmusik für Gefühlsamputierte, immer im Viervierteltakt. Benannt wurde die Band nach dem griechischem Wort Calimera. Das heißt: Guten Tag. Die Calimeros sind also gewissermaßen die Grüßgottonkels des deutschen Schlagers.

Sie besingen Sehnsüchte und unerreichbare Urlaubsorte. Damit sind sie im Coronajahr 2020 überraschend nah am Puls der Zeit. Ob nun Griechenland oder Spanien - Hauptsache, man ist nicht auf dem Boden der Tatsachen, sondern mit den Gedanken hoch über der Insel Kreta, die besungen wird in einem der größten Hits der Calimeros, den sie für das neue Album »auf den neuesten Stand gebracht« haben, so Eberhart.

Auf »den neuesten Stand« bringt man die ollen Kamellen, wenn einem nichts Neues mehr einfällt oder wenn man am Keyboard den Knopf für den Drumcomputer entdeckt hat. Den Text macht das nicht besser, zitiert sei er hier dennoch: »Kreta, so heißt die Insel / Dort leben Menschen, die glücklich sind / An den Straßen, da blühen Blumen / Und vom Meer her, da weht der Wind.« Dazu betörendes Sirtakitickeditack. Hey!

Die Calimeros sind wahre Inselbegabungen. Das beweisen sie im Titelsong des neuen Albums: »Honolulululu liegt auf Hawaiaiaiai / Paradies nur für uns zwei / Honolulululu liegt auf Hawaiaiaiai / Wir haben Sommer, Sonne, Liebe dabei.« Auweia, mag man da denken, falls man dazu noch fähig ist. Roland Eberhart bringt es auf den Punkt: »Es geht rein, es geht nicht mehr raus.«

Mit seinen beiden Bandkollegen sitzt er an einer schrillbunten Zierfischtischdecke neben dem Schlagermoderator Michael Nikammer, der kumpelhaft fröhlich das Interview zu der »brandneuen« CD führt, um die es in dieser Sondersendung geht, als wäre nichts auf der Welt wichtiger. Anderthalb Stunden Hulala, unterbrochen nur von 20 Minuten Werbung des Versandhändlers »Shop24direct«.

Und das schaut man gerne, nicht bloß weil lediglich wenig schlimme Musik beworben wird. Nein, hier werden noch die lebenswichtigen Dinge für ein Leben jenseits der Sterbegrenze offeriert: DVD-Player zum Abspielen von Katzenkinder-Videos, Kassettenrekorder, sprechende Armbanduhren, Schlankheitspillen und ein Feinkostpaket mit sechs Dosen Würzfleisch für unschlagbar überteuerte 39,99 Euro plus Versand. Diese Spots werden innerhalb des Werbeblocks mehrfach gezeigt, für alle, die es nicht mehr so haben mit dem Gedächtnis, sich aber schon auf die schönsten Heimat- und Schlagerfilme freuen, die das »Deutsche Musikfernsehen« jeden Samstag um 10 Uhr morgens ausstrahlt.

Oder eben über die Musik der Calimeros. Die stehen für gute Laune und Harmonie. Ihr expliziert formulierter Anspruch, »auch optisch schick rüberzukommen«, qualifiziert sie, Muttis Lieblinge zu sein. Passend dazu spielen sie jeden Samstag vor Muttertag in der Eishalle zu Wichtrach im Kanton Bern. Nur dieses Jahr nicht. So zeitlos wie die Krise ist ihre Musik. Im Mai 2021 ist schon wieder Muttertag. Die Karten behalten ihre Gültigkeit. Hoffentlich gilt das auch für ihre Besitzer.

Und sonst so? Durchhalteparolen für die Krise in Beziehungen, die noch gar nicht angefangen haben: »Du bist nicht sicher: soll ich oder soll ich nicht? / Du hast Angst, dass dein Gefühl nicht hält, was es verspricht / Du hast tausend Fragen, ob ich wirklich ehrlich bin / Komm, wir beiden gehen auf volles Risiko / Das schaukeln wir schon hin.« Ja, so spricht er, der Heiratsschwindler für die hoffnungslosen Fälle, und fordert auf zum Tanz: »Bam bam bam bam Bamboleo / Es hat einfach Bumm gemacht / Bam bam bam bam Bamboleo / Erleben wir heut Nacht / Lass Gefühle funkeln wie ein Sternenmeer im Dunkeln.«

Wünschenswert wäre, dass die derart Angetanzte die Sterne wirklich nur im Dunkeln sieht und nicht eins über die Rübe gekriegt hat. Weshalb es »Bam bam bam bam Bamboleo« tatsächlich »Bumm gemacht« hat. Aber keine Sorge: Dieser Tiger hat keine Zähne mehr. Denn schon optisch sieht dieses »Bam bam bam bam Bamboleo« aus wie eine Breiverkostung für Mummelgreise.

Ein einziges Herangewamse Richtung Exituspatienten ist das. Und so erscheint einem Roland Eberhart nach einer Weile auch wie der freundliche Herr von der Sterbehilfe. Er ist ja Schweizer. Mit einem feinen Lächeln auf den Lippen säuselt er: »Schiff Ahoi! Schiff Ahoi! / Leinen los und dann Good Bye.« Womit wir beim Schluss wären. Die Calimeros - das ist der einlullende Sound des endgültigen Abschieds. »Schiff Ahoi! Schiff Ahoi! / Wir fühlen uns unendlich frei.«

Calimeros: »Sommer, Sonne, Honolulu« (Telamo)