nd-aktuell.de / 04.06.2020 / Kultur / Seite 14

Crystal Meth statt Kabeljau

Auf Amazon: Die Krimiserie »Hightown« zeichnet ein realistisches Bild der USA unter Donald Trump

Jan Freitag

Von all den Seuchen und Süchten, die das sogenannte Land der Freiheit gerade - von Wut über Waffenwahn bis Fettleibigkeit - in permanenter Knechtschaft halten, ist die Sucht nach Opioiden vielleicht am verheerendsten. Tag für Tag, so hat uns die Netflix-Doku »Recovery Boy« 2018 gelehrt, sterben im Schnitt 91 US-Amerikaner an frei verkäuflichen Schmerzmitteln. Die Opioidkrise reißt besonders ländliche Regionen ins Verderben, Regionen wie Cape Cod beispielsweise - seit Jahrhunderten ergiebiger Fischfanggrund, seit Jahrzehnten beliebtes Ferienziel, seit Jahren Treffpunkt der queeren Szene, seit einiger Zeit auch Schauplatz einer achtteiligen und bedrückend guten Krimiserie.

Auf dieser idyllischen Halbinsel nordöstlich von New York nämlich regiert schon längst nicht mehr der namensgebende Kabeljau, sondern der legale wie illegale Rausch: Crystal Meth, Opioide und Kokain, Psychopharmaka, Gras, Unmengen von Alkohol natürlich. Und von allem nimmt kaum jemand mehr zu sich als Jackie Quiñones (Monica Raymund). Tagsüber als Wasserschutzpolizistin tätig, taucht die Hauptfigur von »Hightown« nach Feierabend - für gewöhnlich bis unter die Hutschnur voll mit Betäubungsmitteln jeder Art - ins Nachtleben ein und erscheint am Mittag darauf halb dienstunfähig zur Arbeit.

Als sie allerdings nach durchzechter Nacht ein Mordopfer entdeckt und auf der Flucht vorm drohenden Trauma in zugedröhntem Zustand einen Unfall baut, findet sich Jackie nicht nur in der örtlichen Entzugsklinik, sondern auch im Drogenkrieg wieder, der rings um sie herum stattfindet. Die am Strand aufgefundene Tote war Drogendealerin und Polizeispitzel in einem. So verbindet Regisseurin Rachel Morrison nach Rebecca Cutters großartigem Drehbuch fortan persönliches Drama mit gesellschaftlicher Katastrophe. Und zwar sehr versiert. Schließlich kann sich das vorwiegend weibliche Filmteam auf hervorragendes Personal verlassen.

Jackie, deren Nachname Quiñones kaum zufällig ans spanische Wort für »Eier« erinnert, ist überaus tough und viril für eine Alltagspolizistin im Umfeld der Hummerfischerei. Im Kon᠆trast zum harten Drogenermittler Ray Abruzzo (James Badge Dale) jedoch wird ihr zerrüttetes Wesen mit jedem Absturz schlüssiger. »Scheiß auf Reden«, sagt sie beim Entzug zur behandelnden Ärztin, »ich habe ein tolles Leben in P-Town. Das ist wie ein lesbisches Shangri-La«. Es gehe ihr also gut. »Okay?!«

Nicht okay.

Denn als ihre Therapeutin vielsagend schweigt oder lakonisch anmerkt, Jackie mache offenbar oft Witze, sobald es ungemütlich werde, geht der Patientin ein Licht auf. Jackie beginnt also langsam, das eigene, ständig eskalierende Leben infrage zu stellen. Anders als ihre badische Berufskollegin Nele Fehrenbach von der »WaPo Bodensee« steckt Jackie Quiñones von der WaPo Cape Cod halt inmitten einer fiktionalen Wirklichkeit, deren dauernder Sonnenschein selbst in der ZDF-Vorabendwelt nur noch lächerlich wirkt.

Beim Nischenkanal Starzplay jedenfalls bewegt sich im Abspann der Pilotfolge ein Hubschrauber in der trüben Luft über »Hightown« und macht Panoramabilder vom vermeintlichen Urlaubsparadies. Am Boden herrscht eben ein blanker, vielfach verstörender Realismus. Wie bei US-amerikanischen Produktionen üblich, ist die Bildsprache dabei verglichen mit der hiesigen gelegentlich umgekehrt artifiziell: ein bisschen zu metallisch, ein bisschen zu düster. Genau mit dieser Dosierung aber schafft es die Serie, den drogenverseuchten USA unterm Dealer Donald Trump einen Spiegel vorzuhalten.

»Hightown«, zu sehen bei Amazon.