nd-aktuell.de / 11.06.2020 / Kultur / Seite 14

Aus dem Kopf

»Rasse« im Grundgesetz

Vanessa Fischer

Nach den Grünen sind nun auch SPD und FDP für eine Streichung des »Rasse«-Begriffs aus dem Grundgesetz. Dort heißt es in Artikel 3: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Der Vorstoß ist wichtig: Verschiedene menschliche »Rassen« gibt es nicht. Die abwegige Behauptung der biologischen Ungleichheit der Menschen und deren hierarchische Einteilung basiert auf pseudowissenschaftlichen Rassentheorien des 19. und 20. Jahrhunderts, die eine Legitimierung für kolonialistische Ausbeutung bot und später zu einem Kernpunkt der NS-Ideologie wurde. Die Unesco hatte 1995 darauf hingewiesen, dass es keinen wissenschaftlichen Grund dafür gibt, den Begriff »Rasse« weiterhin zu verwenden, in Deutschland scheiterte die Linksfraktion 2010 mit dem Versuch, das Wort aus allen Gesetzen zu entfernen, im vergangenen Jahr haben Wissenschaftler*innen in der »Jenaer Erklärung« dazu aufgerufen, den Begriff nicht mehr zu verwenden. Aber: Rassismus wird nicht einfach durch die Streichung eines Begriffs aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Besser wäre es, im Grundgesetz von »rassistischer Diskriminierung« zu sprechen: Diese Formulierung beinhaltet die klare Ablehnung der menschenfeindlichen Rassentheorie, erkennt aber gelichzeitig an, dass Rassismus existiert. Die Geschichte von Kolonialismus und Rassismus muss in Deutschland neu erzählt werden. Dafür muss die weiße Mehrheitsgesellschaft den Betroffenen in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren erst einmal zuhören.