Ausweitung der Prügelzone

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 2 Min.

Es ist immer derselbe Traum: Auf den Mount Everest kann man jetzt mit einer Seilbahn hinauffahren. Oben angekommen, sieht es aus wie im Schullandheim: zugige Sperrholzziegel, eine Mensa, in der es jedes Mal andere Softdrinks zu kaufen gibt. Manche vom Mensapersonal pendeln: rauf und, wenn die Schicht vorbei ist, wieder runter, eben mit der Seilbahn. Andere wohnen in Dachverschlägen ein Stockwerk höher, und wer wirklich den höchsten Punkt der Erde betreten will, muss in eine dieser Kammern und muss, um Zutritt zu erhalten, das dort wohnende Personal mit Bärenfell bestechen, denn nichts hält so warm wie Bärenfell.

Bei diesem Traum handelt es sich wohl darum, dass mein Hirn mir vortäuscht, mich nach so etwas wie Sport zu sehnen. Das tut es schon immer, um mir das Gefühl zu geben, jenem heteromännlichen Körperideal zu genügen, das sich in Sehnsucht nach Sport ausdrückt, die den Körper so natürlich befällt wie den Fuchs der Fuchsbandwurm, sodass der Mann einfach herumrumoren muss mit seinem Körper: Bewegung A, Bewegung B, Bewegung C, kaum sind auch nur fünf Sekunden vergangen, es geht nicht, er kann nicht anders, so ist das nun einmal.

Ich korrigiere: Sehnsucht nach Qual. Ich erinnere mich an die Grundschulzeit und das Kontinuum der Gewalt, das damals normal zu sein schien und das ich so gründlich verdrängt habe, dass seine Aura nur in ganz bestimmten Situationen wiederkehrt. Zum Beispiel im Schwimmbad, das verlassen zu dürfen ich jedes Mal dem Himmel dankbar war, nachdem mir (und anderen Schwächlingen) der Kopf hundertachtunddreißig Mal unter Wasser getaucht worden war. Oder wenn das Ohr drückt, das man mir damals fast abgerissen hätte.

Dass andere Menschen weniger privilegiert sind und diese Zeit nicht hinter sich lassen können, vielmehr kontinuierlich staatlich betriebenen (und privaten) Schläger*innentrupps ausgeliefert sind, die sie bei schlechter oder guter Laune zum Punching Ball machen, soll, sagt man, nicht die Schuld des Sportes sein. Aber Faschismus ist eben nicht nur eine Ideologie, sondern auch ein Körpergefühl: sich selbst abhärten und sich schließlich vergessen, indem man das andere zu Brei kloppt.

Wie wohl tut dagegen jener Sport den Augen, der gegenwärtig neben dem unvermeidlichen Fußball zu sehen ist: Snooker. Mittelalte Herren spielen mit Murmeln und müssen dabei, anders als beim überhypten Dart, nicht einmal extravagante Frisuren zur Schau stellen. Wer fehlt? Frauen und People of Color. Aber auch - und deshalb ist das Ganze so ruhig und gediegen, fast schön - Deutsche.

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