Gegenrede im Netz funktioniert

Wenn Hass und Hetze etwas entgegengesetzt wird, trollen sich Trolle. Von Johanna Treblin

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Was tun, wenn Beleidigungen unter einem Tweet, Drohungen auf Facebook oder Instagram zunehmen? Nutzer*innen sozialer Medien können Hass und Hetze im Netz bei den Plattformbetreibern melden oder bei der Polizei anzeigen. Einige Nutzer*innen greifen auch zur Gegenrede, auf englisch Counter Speech. Eine Studie gibt nun Hinweise darauf, dass das funktioniert: Je mehr Gegenrede gepostet wird, desto weniger Hasskommentare werden abgegeben.

Eine repräsentative Untersuchung darüber ist zunächst schwierig: Per Augenschein eine ausreichend große Anzahl an Tweets zu untersuchen, dauert viel zu lange. Dafür muss ein Computerprogramm her, das automatisch Hate- und Counterspeech erkennt. Doch das ist vor allem bei der Gegenrede nicht so einfach: Zu unterschiedlich sind die Themen und die Wortwahl, erklären die Forscher*innen vom interdisziplinären Santa Fe Institute in New Mexico in einem Papier mit dem Titel »Countering hate on social media: Large classification of hate and counter speech«, das bisher als sogenanntes Preprint vorliegt.

Die Wissenschaftler*innen fütterten nun einen Algorithmus mit Tweets und Konversationen von Reconquista Germanica und Reconquista Internet. Ersteres wurde als rechtsextremes Netzwerk vor der Wahl zum deutschen Bundestag 2017 gegründet. Die bis zu 3000 aktiven Nutzer*innen organisierten über einen Server der Plattform Discord Online-Attacken auf politische Gegner*innen. Im April 2018 rief der Fernsehmoderator Jan Böhmermann zu einer Gegeninitiative auf und initiierte Reconquista Internet.

Um zu prüfen, ob der Algorithmus die Tweets richtig als Hate- oder Counterspeech klassifiziert hat, ließen die Forscher*innen des Santa Fe Institute 5000 der Tweets stichprobenmäßig auch noch einmal von 55 Menschen einstufen. Die Übereinstimmung mit dem Algorithmus lag bei den Hasskommentaren bei nahezu 100 Prozent, bei der Gegenrede bei 75 Prozent. Ausreichend hoch, entschieden die Forscher*innen und ließen nun insgesamt neun Millionen Tweets und 135 000 Diskussion in dem sozialen Netzwerk vom Computerprogramm untersuchen.

Das Ergebnis: Von 2013 bis 2018 mehrte sich die Zahl der Hasskommentare. Vor allem nahm aber ihre Schärfe zu. Im Mai 2018, als Reconquista Internet gegründet war, kam dann der Bruch: Proportional nahm Gegenrede stark zu, und sowohl die Zahl von Hasskommentaren als auch ihre Schärfe sank in den folgenden Monaten drastisch. Die Forscher*innen fanden zudem heraus, dass wenige Hasskommentare auch nur wenige weitere nach sich zogen. Eine hohe Zahl von Hasskommentaren provozierte jedoch sowohl mehr Hetze als auch mehr Gegenrede. Ähnlich zog eine geringe Anzahl von Counterspeech-Tweets nur wenige ihresgleichen nach sich. Sobald aber mittels Reconquista Internet organisiert Beleidigungen widersprochen und falschen Behauptungen Fakten entgegengesetzt wurden, beteiligten sich immer mehr Menschen an der Gegenrede.

Beide Netzwerke, Reconquista Germanica und Reconquista Internet, existieren heute nicht mehr in der ursprünglichen Form. Auf Dauer sei »dieses fulltime Engagement« nicht machbar gewesen, kommentiert Reconquista Internet auf Twitter. Man sei aber »sehr froh darüber, dass RI für viele Gruppierungen der Funke zum Engagement und zur Eigeninitiative wurde«.

Seit 2017 sind Plattformbetreiber wie Twitter und Facebook in Deutschland aufgrund des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) verpflichtet, Hasskommentare aus den sozialen Netzwerken zu verbannen. Das NetzDG soll nun noch verschärft werden. Nach dem Entwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 19. Februar sollen Anbieter großer sozialer Netzwerke verpflichtet werden, dem Bundeskriminalamt bestimmte strafbare Inhalte zu melden. Das Gesetz ist auch eine Reaktion der Bundesregierung auf den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke im Juni 2019, dem Drohungen in sozialen Netzwerken vorausgegangen waren. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder Lübckes, Stephan E., soll am 16. Juni beginnen.

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