nd-aktuell.de / 04.07.2020 / Politik / Seite 7

Freihandel heißt »America first«

Die USA erhoffen sich vom USMCA-Abkommen eine Stärkung ihrer Industrie.

Andreas Knobloch

Am Mittwoch saß die Arbeitsrechtsaktivistin Susana Prieto Terrazas bereits seit mehr als drei Wochen im Bundesstaat Tamaulipas im Norden Mexikos hinter Gittern. Die 54-Jährige engagiert sich seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in den Maquiladora-Fabriken entlang der mexikanischen Grenze zu den Vereinigten Staaten. Dort produzieren Hunderttausende Arbeiter*innen unter prekären Bedingungen und oft ohne gewerkschaftliche Vertretung alles von Autoteilen bis hin zu Fernsehgeräten für den US-amerikanischen Markt.

In den vergangenen Monaten führte Prieto eine Reihe von Protesten und Streiks für bessere Löhne und Einhaltung der Arbeitsrechte in den Produktionsstätten an der texanischen Grenze an. Während einer Protestveranstaltung am 8. Juni in Matamoros wurde Prieto von der Polizei festgenommen. Ihr werden Aufruhr sowie Straftaten und Drohungen gegen Regierungsbeamte vorgeworfen.

Die Inhaftierung Prietos schürt auf beiden Seiten der Grenze die Sorge über die Umsetzung wichtiger Vereinbarungen des Freihandelsvertrages USMCA für Nordamerika, der am Mittwoch in Kraft trat. Das Kürzel steht für United States-Mexico-Canada Agreement. Die auf Betreiben von US-Präsident Donald Trump neu ausgehandelte Vereinbarung löst das NAFTA-Abkommen von 1994 ab, das Trump wiederholt »als schlechtestes Abkommen aller Zeiten« kritisiert hatte.

Die Volkswirtschaften der USA und Mexikos sind nicht zuletzt wegen NAFTA heute eng verwoben. Die USA sind Mexikos wichtigster Handelspartner und Investor; drei Viertel der mexikanischen Exporte gehen in die USA. Während NAFTA Mexikos Agrarsektor durch den ungleichen Wettbewerb mit der produktiveren US-Landwirtschaft schweren Schaden zufügte, machte es das Land gleichzeitig zu einem der weltweit wichtigsten Standorte der Automobilindustrie. Ein bedeutender Teil der US-Autoproduktion ist nach Mexiko ausgelagert; auch für deutsche Autobauer wie VW, Audi oder Daimler ist Mexiko zu einem wichtigen Produktionsstandort geworden, um so präferenziellen Zugang zum US-amerikanischen Absatz zu erhalten.

Vor allem im Automobilsektor musste Mexiko bei den Neuverhandlungen weitreichende Zugeständnisse machen. Die Wertschöpfungsanteile aus den USMCA-Staaten in der Autoproduktion werden mit dem neuen Abkommen - wie von den USA gefordert - von bisher 62,5 Prozent auf 75 Prozent angehoben. Dies wird zu höheren Produktionskosten und Anpassungen in den Zuliefererketten führen. Trumps Ziel war es, in den USA die Stahlindustrie als Vorleistungslieferant für die Autoproduktion und letztere an sich zu stärken. »America first« ist für ihn auch bei Handelsabkommen die Ausrichtung.

Die US-Regierung sah vor allem in den niedrigen Löhnen der mexikanischen Wirtschaft einen eigenen Wettbewerbsnachteil und drängte auf Veränderungen. In dem neuen Vertrag verpflichtet sich Mexiko zur Gewährleistung »akzeptabler« Arbeitsbedingungen, Vereinigungsfreiheit und der »wirksamen Anerkennung« der Tarifverhandlungen. Im Mai vergangenen Jahres passte Mexiko daraufhin sein Arbeitsgesetz an. Dieses schafft ein neues System des Arbeitsrechts, Gewerkschaftsdemokratie und die Verpflichtung zu transparenten kollektiven Arbeitsverträgen. Arbeiter können künftig frei wählen, ob und welcher Gewerkschaft sie angehören wollen. Gegenüber NAFTA wird die Rolle der Arbeitnehmervertreter in Mexiko gestärkt - allerdings zunächst nur auf dem Papier.

»Die Arbeitsreform schreitet nicht voran, es gibt keine wirkliche Legitimierung von Verträgen; Arbeitnehmer werden nicht zur Konsultation oder Abstimmung gerufen, um festzustellen, ob sie die Verträge anerkennen, die in ihrem Namen ausgehandelt wurden. Die gesetzlichen Reformen werden nicht vollständig eingehalten, und es gibt noch immer keine demokratischen Wahlen, weder in den großen noch in den kleinen Industriegewerkschaften«, kritisiert Héctor de la Cueva, Koordinator des Zentrums für Arbeitsforschung und Gewerkschaftsberatung (CILAS).

Der Fall Prieto steht exemplarisch dafür. Vor ihrer Verhaftung hatte Prieto versucht, einen Tarifvertrag für ihre unabhängige Gewerkschaft SNITIS (Sindicato Nacional Independiente de Trabajadores de Industrias y Servicios) in einem Werk des US-Autoteileherstellers Fisher Dynamics in Matamoros zu erreichen. Die Abstimmung der Arbeiter über ihre Gewerkschaftsvertretung wurde jedoch von den Behörden des Bundesstaates immer wieder verzögert.

Selbst Mexikos Arbeitsministerin Luisa Alcalde kritisierte die Festnahme Prietos und räumte Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Vereinbarungen des Freihandelsabkommens ein. »Es ist eine große Herausforderung, da es Vorgänge geben kann, bei denen die Reform noch nicht umgesetzt wurde, und es immer noch Beschwerden über Rechtsverletzungen gibt, insbesondere bei der Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen«, sagte sie in einem Interview. Der Handelsbeauftragte der US-Regierung, Robert Lighthizer, nannte bei einer Kongressanhörung in Washington die Verhaftung Prietos »einen schlechten Indikator«. Der demokratische Abgeordnete William Pascrell forderte die Trump-Administration auf, auf die Freilassung von Prieto zu drängen. Ihre Verhaftung »sende das falsche Signal, dass das neuverhandelte NAFTA nicht auf dem richtigen Weg ist, um die mexikanischen Arbeitsbedingungen zu verbessern.«