Wer gegen Preiserhöhungen protestiert, ist Putschist

Vom Framing gegen die österreichischen Kommunisten: Ein dickes Buch zur Nachkriegsgeschichte der KPÖ

  • Sabine Fuchs
  • Lesedauer: 3 Min.

Die österreichischen Nachkriegsgeschichte ist bekanntermaßen ganz anders verlaufen als die deutsche: Österreich wurde im April 1945 als Staat mit eigener Regierung wiedergegründet, die Hauptstadt Wien von den vier Besatzungsmächten gemeinsam verwaltet und eine Teilung des Landes stand nie zur Debatte - auch nicht von Seiten der sowjetischen Besatzungsmacht oder der KPÖ, wie der Historiker Manfred Mugrauer nachweist.

Tatsächlich war die KPÖ am Ende des Zweiten Weltkriegs einer der wichtigsten politischen Akteure des Landes. Warum also ist es der Partei, die eine herausragende Rolle im Widerstand gegen die Nationalsozialisten gespielt hat und als Gründungsmitglied der Zweiten Republik in den ersten beiden Nachkriegsregierungen vertreten war, nicht gelungen, längerfristig Einfluss auf die politische Entwicklung zu nehmen? Mugrauer zeigt, dass die Partei auf lokaler und kommunaler Ebene und auch innerhalb der Betriebe viele politische Erfolge erzielen konnte, und zwar nicht nur in der sowjetischen Besatzungszone. Doch die tatsächlich herrschenden Kräfte, die konservative ÖVP und die Sozialdemokraten, waren aus machtpolitischem Kalkül daran interessiert, die Bedeutung der KPÖ zurückzudrängen. Dazu kam ab den späten 1940er Jahren die Blockbildung des beginnenden Kalten Kriegs - auch international wurde der antifaschistische Grundkonsens der ersten Nachkriegsmonate von zunehmendem Antikommunismus abgelöst.

Auch das trug dazu bei, dass ÖVP und SPÖ ein frühes Beispiel dessen gelang, was man heute wohl als erfolgreiches Framing bezeichnen würde: das geschickte Anknüpfen an vorhandene, möglichst vorurteilsbelastete Deutungsmuster zum Erreichen eines politischen Ziels. In der österreichischen Geschichte hat es kaum eine Phase gegeben, in der Antikommunismus nicht Teil der herrschenden Ideologie war, während des Nationalsozialismus wurde er noch um eine rassistische Komponente erweitert. Daran knüpften ÖVP und SPÖ an, wenn sie die KPÖ immer wieder als »Russenpartei« und »verlängerten Arm der Sowjetunion« bezeichneten.

Der konsensuale antikommunistische Furor fand, wie Mugrauer akribisch belegt, auch in die Geschichtsschreibung Eingang, selbst dort, wo er wissenschaftlich längst widerlegt war. Ein besonders hartnäckiges Beispiel ist die »Putschthese« zum Oktoberstreik von 1950. Die Streikbewegung, spontaner Ausdruck eines schon länger gärenden Unmuts über Preiserhöhungen und Reallohnverluste, wurde von ÖVP, SPÖ und vom sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsbund als »langfristig geplanter kommunistischer Putschversuch« diffamiert. Mugrauer entlarvt die absurde These eines Putschs unbewaffneter ArbeiterInnen vor den Augen der westlichen Besatzungsmächte. Auch nach der Öffnung der Moskauer Archive in den 1990er Jahren konnten keinerlei Dokumente gefunden werden, die einen von KPÖ oder Sowjetunion geplanten Umsturz belegen. Obwohl also längst widerlegt, wird die Putschthese erneut, wider besseres Wissen von konservativen HistorikerInnen vertreten.

Mugrauers Buch ist auch eine Geschichte der Geschichtsschreibung der KPÖ. Deren scheinbar hoffnungsvolle, aber schon bei Kriegsende aussichtslose Lage bezeichnet er treffend als »No-Win-Situation«. Daran hat sich bis heute wohl nichts geändert.

Manfred Mugrauer: Die Politik der KPÖ 1945-1955. Von der Regierungsbank in die innenpolitische Isolation. Vandenhoeck & Ruprecht, 833 S., geb. 75 €.

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