nd-aktuell.de / 08.07.2020 / Kultur / Seite 8

»Wir sind nicht das Sozialamt«

Neues vom »Die da oben, wir da unten«-Stammtisch: Wie die AfD mit »Grundfunk« die Öffentlich-Rechtlichen kleinkriegen will

Thomas Klatt

Endlich gibt es mal einen Text statt Parolen. Jahrelang wurde von rechts nur geschimpft auf »Lügenpresse«, »Lückenpresse«, »links-grün versiffte Mainstreammedien«, »merkelhörige Systemnutten«, »GEZ-Zwangsgebühr-Staatsfunk« und Ähnliches. Diese verbalen Angriffe verstehen die Anhänger der AfD durchaus auch als Aufforderung zur Gewalt, zu Attacken auf Reporter und Kamerateams, unsägliche Schmähungen im Netz bis hin zu Morddrohungen.

Nun hat also die größte Oppositionspartei im Bundestag, die vermeintliche Parlamentsstimme der Wutbürger, etwas Schriftliches vorgelegt. Die medienpolitischen Sprecher mehrerer AfD-Landesverbände konnten sich nach längerer interner Abstimmung auf ein 11-seitiges Papier einigen: »Grundfunk - unsere Reform für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk des 21. Jahrhunderts«. Klingt erst einmal harmlos, ist aber bei genauerer Betrachtung gelogen. Denn die von der AfD beschworene Reform des Fernseh-, Hörfunk- und Onlineangebotes von ARD, ZDF und Deutschlandradio würde faktisch eine Auflösung bedeuten. Nur sagt das die Partei nicht offen und ehrlich.

Vielmehr will sie in der Bevölkerung punkten, indem sie verspricht, den monatlichen Rundfunkbeitrag abzuschaffen. Stattdessen sollen internationale Tech- und Online-Riesen wie Amazon, Facebook, Netflix, Google, aber auch Bertelsmann einen kleinen Obolus aus ihrer Portokasse zahlen, um dem neuen »Heimat- und Grundfunk« die nötige finanzielle Basis zu sichern. Das jetzige Budget wird gedeckelt auf zehn Prozent, das heißt, statt acht Milliarden stünden den Sendern künftig noch 800 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesem Geld soll laut AfD ein anderes, ihrer Meinung nach qualitativ hochwertiges Programm entstehen: Berichte und Reportagen über Amateur- und Breitensport, Hobby, Lebenshilfe und Verbraucherschutz, Nachrichten und Informationen, Bildung, Kultur und Tradition, Dokumentationen und Regionales, bis zu Notfall- und Katastropheninformationen.

Dazu ein kleines Denkbeispiel: Jeder Bürger braucht nur ein Programmheft aufzuschlagen und sich daraus die zehn Prozent herauszuschneiden, die er für wichtig hält. Und vielleicht ist er damit auch zufrieden. Wer guckt schon so viel? Wer hört so viel Radio? Nur: Der Nachbar könnte sich ganz andere zehn Prozent aussuchen, und die Nachbarin erst recht. Das nennt man Programmvielfalt und Demokratie. Was die AfD vorschlägt, ist dagegen Diktatur.

Besonders erschreckend ist, dass hinter dieser Medienvernichtungspolitik keine Dummköpfe oder Nur-Schreihälse stecken, sondern wohldotierte Parlamentarier dieser Republik. Manche von ihnen haben früher sogar ihr Geld beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk verdient. Der Autor dieser Zeilen hatte sich schon vor Monaten die Mühe gemacht, diese Ex-Kollegen nach dem offensichtlichen Widerspruch ihres heutigen Handelns zu ihrem früheren Beruf anzusprechen und Interviews zu führen. Da ist zum Beispiel Leif-Erik Holm. Über 20 Jahre war er professioneller Radiomoderator, auch beim NDR. Nun ist Holm stellvertretender AfD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Er sagt, Information gehöre ins Öffentlich-Rechtliche: »Dokumentation, investigative Berichterstattung, Kultur genauso wie ein anspruchsvolles Kinderprogramm, der Ereigniskanal wie Phoenix zum Beispiel - das sind Dinge, die brauchen wir.« Wie das aber mit nur noch zehn Prozent des Etats bewerkstelligt werden soll, sagt er nicht.

Oder AfD-Bundestagskollege Jürgen Braun: Ihm wäre ein Monatsbeitrag von einem Euro sympathisch, also noch viel weniger als zehn Prozent des heutigen Etats. Braun hat die Medienabteilung der AfD-Fraktion mit aufgebaut. Er war zuvor Ressortleiter im MDR-Fernsehressort Wirtschaft, Umwelt, Verbraucher, Chef vom Dienst des täglichen Landesmagazins und verantwortlich für die Talksendung »Dresdner Gespräch«. Dass Braun mit einer drastischen Reduktion der Mittel den Großteil seiner ehemaligen Kollegen arbeitslos machen würde, juckt ihn nicht: »Wir sind nicht das Sozialamt. Wir können ja nicht entscheiden, wie alles weitergeht.« Und weiter: »Es würde ausreichen, dass nur ein Hörfunk-Korrespondent berichtet, und das wird von anderen ARD-Sendern übernommen.«

ARD-Sammelangebote gibt es aber längst. Seit Jahren schon schalten sich Kulturwellen der Landesanstalten zusammen. Das müsste Braun eigentlich wissen. »Das ist ein ungeheurer Apparat, verbunden mit riesigen Pensionsleistungen für leitende Angestellte. Da müsste man dringend reformieren«, meint er. Dass das in der ARD längst geschehen ist, ignoriert Braun. Auch dass viele Freie keine Reichtümer verdienen, sondern prekär beschäftigt sind, scheint man in der AfD zu ignorieren. Stattdessen werden die hohen Gehälter der Intendantinnen und Intendanten angeprangert. Das ist der »Die da oben, wir da unten«-Stammtisch. Die mehr als 40 000 festen und freien Mitarbeiter beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat die AfD offenbar nicht im Blick.

Weiter mit Armin-Paul Hampel. Er war bis zur Berentung ebenfalls beim MDR und sitzt heute für die AfD im Bundestag. Auch er plädiert für Verschlankung, wie die faktische Medienzerstörung im AfD-Deutsch heißt. Hampel würde nach dem neuen Finanzierungsmodell der medienpolitischen Sprecher der AfD wohl auch seine MDR-Pensionsansprüche verlieren. Darauf will er dann aber doch nicht verzichten: »Ich gehe davon aus, dass der Mitteldeutsche Rundfunk, der ja mein Arbeitgeber war, die von mir eingezahlten Gelder in die Betriebskasse so gut verwaltet, dass das unabhängig ist von den Gebühreneinnahmen.«

Wie kann man aber die Hand beißen, ja abschneiden wollen, die einen füttert? Nicht nur mit Pensionen, sondern die Republik mit seriöser Berichterstattung, Fakten und Informationen? Doch dem kämen die Sender ja nicht nach, jammern die ehemaligen Kollegen, die nun für die AfD nicht nur im Bundestag sitzen. Das sehe man daran, dass die rechte Partei in öffentlich-rechtlichen Talkshows unterrepräsentiert sei und immer nur kritisiert werde. Außerdem brauche die Demokratie keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das sehe man doch an den USA, die für die AfDler Medienvorbild sind.

Wie kommen diese Vorstellungen bei den Mediengewerkschaften an? »Aus meiner Sicht braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein diverses Programm, um seinem Auftrag nachzukommen. Das ist eben nicht nur eine Grundversorgung nach dem Willen der AfD, wo man abzählen kann, dass Mehrheitsverhältnisse in Parlamenten sich im Programm eins zu eins widerspiegeln, indem man die Stoppuhr laufen lässt«, sagt Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalisten-Union in ver.di. »Das hat nichts mit Grundversorgung zu tun. Das hat damit zu tun, dass die AfD Programm machen und im Programm vorkommen will und den Kolleginnen und Kollegen die Pressefreiheit abspricht«, meint sie. »Es gab mal so etwas wie einen kleinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den USA, der bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft wurde«, so Berger. »Wer sich die gespaltene, feindselig aufeinander losgehende amerikanische Gesellschaft anguckt, der kann nicht ernsthaft sagen, dass das für Europa eine wünschenswerte Entwicklung ist.«

Frank Überall, Bundesvorsitzender vom Deutschen Journalisten-Verband, betont: »In dieser Funktion das zu bekämpfen, was man beruflich gemacht hat, oder es völlig umdeuten zu wollen, das halte ich für sehr, sehr schwierig, weil es in der AfD eben auch einhergeht mit Ablehnung von Grundrechten, nämlich dem Grundrecht auf Pressefreiheit.«

Der »Grundfunk« der AfD ist purer Euphemismus. Es wäre ehrlicher, wenn die Partei einfach zugeben würde, dass sie die Vielfalt des Programms und die freie Presse in Grund und Boden stampfen möchte.