nd-aktuell.de / 13.07.2020 / Berlin / Seite 9

Enteigungspaket wird größer

Deutsche Wohnen wendet Ausübung von Vorkaufsrecht für 16 Häuser mit besserem Mieterschutz ab

Nicolas Šustr

»Das Ziel ist nicht erreicht«, heißt es deutlich in der Erklärung des Bündnisses »23 Häuser sagen nein«, nachdem am Freitag die Deutsche Wohnen für die 16 Liegenschaften, die in Milieuschutzgebieten liegen, Abwendungsvereinbarungen unterzeichnet hat. Denn das politische Ziel, eine Kommunalisierung zu erwirken, habe nicht erreicht werden können.

Für 20 Jahre verzichtet der Wohnkonzern demnach auf die Umwandlung in Wohnungseigentum. »Darüber hinaus wird die Käuferin nur solche energetischen Modernisierungen durchführen, zu denen sie entweder gesetzlich verpflichtet ist oder die vom Bezirk allgemein durch Richtlinien zugelassen werden«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der fünf betroffenen Bezirke, darunter Friedrichshain-Kreuzberg, wo allein elf der Häuser liegen. Fünf weitere Wohnhäuser in mehreren Bezirken erhalten keinen erweiterten Mieterschutz, da sie nicht in Milieuschutzgebieten liegen, zwei weitere Immobilien sind außerhalb Berlins.

»Das Einlenken der Deutsche Wohnen kam überraschend. Wir haben die Angst, dass der Konzern das Häuserpaket nutzen wird, um sein Image reinzuwaschen«, sagt Lorena Jonas, Sprecherin von »23 Häuser sagen nein«. Tatsächlich hatte die Deutsche Wohnen zunächst nur eine Schutzfrist von zwölf Jahren anbieten wollen.

Etwas überschwänglicher äußert sich der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) »Wir haben ein Gewitter an Solidarität und Unterstützung erlebt. Die Mieterinnen und Mieter haben sich für das Vorkaufsrecht eingesetzt und viele Genossenschaften waren interessiert Häuser zu übernehmen«, erklärt er. Am Ende hätten drei Genossenschaften für den Erwerb mehrerer Häuser zur Verfügung gestanden. »Dies war eine entscheidende Ergänzung zum Erwerb durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, die insgesamt weniger Häuser als die Genossenschaften erworben hätten«, so Schmidt weiter.

»Durch den Kauf des Mietshauses in der Waldenserstraße 9 im Bezirk Mitte zugunsten der Degewo haben wir erneut klargemacht, dass das Land Berlin bereit ist, das Vorkaufsrecht zu ziehen, um Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zu schützen«, sagt der Staatssekretär für Wohnen, Sebastian Scheel (Linke). Mitte hatte die Ausübung am Dienstag letzter Woche bekanntgemacht.

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) sieht das Ergebnis als vollen Erfolg an. »Eine Abwendungsvereinbarung umzusetzen, ist das Hauptziel einer solchen Intervention«, erklärt er. Schließlich musste er so keine Zuschüsse für die Ausübung des Vorkaufsrechts bereitstellen.

Für Lorena Jonas ist der Schutz der Mieter fragil: »Milieuschutzkriterien sind nur städtebaulicher Natur. Wenn der Mietendeckel kippt sind wir nicht vor deutlichen Mieterhöhungen gesichert.« Auch sei nicht klar, unter welchen Bedingungen Modernisierungen trotz Vereinbarung auf die Mieten umgelegt werden können.

Keinen zusätzlichen Schutz durch einen gemeinwohlorientierten Eigentümer genießen nun auch die rund 40 Gewerbemieter Objekten. Das nennt Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger einen »großen Wermutstropfen«.

»Ich verstehe, dass die Mieterinnen und Mieter es lieber gesehen hätten, wenn die Häuser an das Land Berlin gegangen wären. Aber dass sich die Deutsche Wohnen gezwungen sah, die Abwendungsvereinbarungen zu unterzeichnen, ist dennoch ein Erfolg und nicht zuletzt den Protesten aus den Hausgemeinschaften zu verdanken«, sagt Steffen Zillich, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Die Linke wolle die politischen und finanziellen Voraussetzungen schaffen, die Berlin in die Lage versetzten, dieses Instrument jederzeit nutzen zu können, kündigt er an.

Er wirft damit ein Schlaglicht auf den politischen Streit zwischen den drei Koalitionspartnern über den Umgang mit dem Vorkaufsrecht. Die SPD möchte eher weniger als mehr Geld dafür ausgeben, die Grünen wollen den Genossenschaften mehr Möglichkeiten geben, nach Ansicht der Linke sollen die Häuser bei landeseigenen Wohnungsunternehmen bleiben, wenn schon staatliche Zuschüsse fließen. Der absehbar enger werdende Finanzrahmen im Zuge der Coronakrise dürfte die entsprechenden Konflikte noch befeuern.

»Wir finden es schwach, dass in den Erklärungen der verantwortlichen Politiker kein politischer Wille gezeigt wird, das Vorkaufsrecht zu schärfen«, sagt Lorena Jonas. Tatsächlich steht eine Novellierung des Baugesetzbuchs an, allerdings ist dafür der Bundestag zuständig. Der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, der Berliner Abgeordnete Jan-Marco Luczak hatte erst kürzlich angekündigt, dass ihm der Entwurf aus dem Bundesbauministerium aus Eigentümersicht zu weit gehe.

»Die Abwendungserklärung ist der Schwachpunkt des Vorkaufsrechtes«, sagt Ralf Hoffrogge von Deutsche Wohnen & Co enteignen zu »nd«. »Wir sehen, das kleine Lösungen der Stadt nicht helfen. Wir brauchen die große Lösung und die heißt Vergesellschaftung«, so Hoffrogge weiter. Das Volksbegehren hat zum Ziel, große, renditeorientierte Wohnungskonzerne in der Hauptstadt gegen Entschädigung zu enteignen.