Träumen vom »Endsieg«

Der philippinische Präsident Duterte will den »kommunistischen Aufstand« gewaltsam beenden

  • Rainer Werning
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich hätte der Präsident der Philippinen mit der Coronakrise genug Arbeit: Angesichts von über 50 000 Infizierten und über 1300 Toten musste Rodrigo Duterte nun den Lockdown verlängern. Wie sehr das Land von der Pandemie gezeichnet ist, zeigt sich in der jüngsten Prognose des Internationalen Währungsfonds, die ein Schrumpfen der Wirtschaft um bis zu 3,6 Prozent in diesem Jahr prognostiziert.

Doch das sind für Duterte nur Nebenschauplätze, denn für ihn steht derzeit etwas anderes ganz oben auf der Agenda: das Bekämpfen von Kritikern und Kommunisten. Am Freitag verweigerte das Parlament auf Anordnung der staatlichen Kommission für Telekommunikation dem landesweit größten und Duterte-kritischen Medienkonzern ABS-CBN eine neue Lizenz. Am Samstag demonstrierten Journalisten, Studenten, Menschenrechtler und Anwälte gegen erzwungene Schließung des Medienkonzerns, die Demokratie und Pressefreiheit weiter aushöhle.

Die Kundgebungsteilnehmer kritisierten auch das neue Anti-Terror-Gesetz, das der seit nunmehr vier Jahren amtierende Präsident trotz harscher Kritik aus In- und Ausland am 3. Juli unterzeichnet hat. Das Gesetz zur Terrorismusbekämpfung 2020 (ATA 2020) öffnet dem verstärkten »Red Tagging« von Aktivisten, Journalisten und Nutzern sogenannter Sozialer Medien sperrangelweit die Tore. »Red Tagging« meint eine gezielte öffentliche Brandmarkung politischer Gegner als »Kommunisten«, um sie einzuschüchtern oder sogar »physisch zu liquidieren«. Aktuelle Zielscheibe des »Red Tagging« ist die prominente, unter anderem in Deutschland ausgebildete Benediktinerin Mary John Mananzan, die Ende Juni von einer Duterte-Sprecherin als »langjährige Verbündete einer kommunistischen Terrororganisation« diffamiert wurde. Zum Unabhängigkeitstag am 12. Juni - an diesem Tag erklärten die Filipinos im Jahre 1898 ihre Unabhängigkeit von Spanien - riefen deshalb auch zahlreiche Geistliche zum Kampf für Freiheit und zu Widerstand gegen die »volksfeindliche« Politik des Präsidenten auf. Der Interimsleiter der Erzdiözese Manila, Bischof Broderick Pabillo, betonte: »Wir feiern den Unabhängigkeitstag in der Hoffnung, dass wir echte Unabhängigkeit bekommen, wenn wir jetzt unsere Freiheit verteidigen.«

Kritiker des ATA 2020 bemängeln vor allem jene Passagen dieses Gesetzes, die ihrer Ansicht nach offen der gültigen, 1987 verabschiedeten Landesverfassung widersprechen. Dazu zählt die Verhaftung ohne Haftbefehl von mindestens 24 Tagen, die zudem weitere zehn Tage verlängert werden kann.

Ein vom Präsidenten selbst eingesetzter sogenannter Anti-Terrorismus-Rat (ATC) erlaubt der Polizei und dem Militär, jederzeit eine Person zu verhaften, die verdächtigt wird, »terroristische Handlungen« zu begehen. Der ATC setzt sich aus von Duterte handverlesenen Kabinettsmitgliedern sowie Militär- und Polizeioffizieren zusammen - darunter ehemalige Generalstabschefs der Streitkräfte. Der Rat agiert mithin im rechtsfreien Raum und befindet letztlich darüber, wer als »verdächtige Person« eingestuft und entsprechend drakonisch bestraft wird.

Laut ATA 2020 werden die bloßen Ansichten von Menschen bestraft, unabhängig davon, ob sie tatsächlich Straftaten oder kriminelle Handlungen begangen haben. Unter anderem wird mit einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren bis lebenslänglich bestraft, wer »Akte des Terrorismus« plant, vorbereitet und erleichtert sowie Personen für eine terroristische Organisation rekrutiert oder gar selbst Mitglied in einer solchen ist.

So vage die Formulierungen sind, so eindeutig ist dessen Stoßrichtung. Zuvorderst soll auf diese Weise der nun schon seit 51 Jahren währende »kommunistische Aufruhr« auf den Inseln gewaltsam beendet werden. Selbst Menschen, die keine Gesichtsmaske tragen, die keinen Quarantäneausweis besitzen, die gegen die Ausgangssperre verstoßen oder die ihre Klagen wegen unzureichender staatlicher Hilfe äußern, werden weggesperrt oder geraten unter Generalverdacht, »Terroristen« zuzuarbeiten. So wurden allein seit Beginn der Pandemie bis zum 8. Juni mehr als 193 000 Personen wegen Verletzung der Quarantänevorschriften verhaftet, fast 59 000 wurden angeklagt und 15 000 festgenommen. Wo durch Corona viele Menschen arbeitslos geworden sind und ein effektiver Führungsstil der Regierung vonnöten wäre, zieht diese stattdessen die »Terrorbekämpfung« allem anderen vor.

In verschiedenen öffentlichen Erklärungen und Artikeln unterstellen Dutertes Sicherheits- und Verteidigungsbeamte und Kommunikationsoffiziere wiederholt, dass die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) und die Neue Volksarmee (NPA) als internationale Terrororganisationen bezeichnet werden. Auf ihrer Website behauptet die regimetreue Philippine News Agency unverblümt, die CPP und NPA seien von den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland auf eine Liste von terroristischen Organisationen gesetzt worden. Tatsächlich enthält die Konsolidierte Liste des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen weder die CPP noch die NPA. Die Liste umfasst lediglich die im südlichen Landesteil operierende Abu-Sayyaf-Gruppe und die Rajah-Solaiman-Bewegung sowie 13 diese angeschlossene Personen. Entgegen den Behauptungen der PNA, tauchen die CPP und NPA auch nicht in der jüngsten aktualisierten Liste »eingestufter Terroristen« Australiens, Kanadas und Großbritanniens auf.

Mehrfach haben die CPP und NPA bekräftigt, dass sie Akte des Terrorismus verdammen und sich als revolutionäre Organisationen verstehen, die das Streben des philippinischen Volkes nach nationaler Freiheit und sozialer Gerechtigkeit unterstützen. Die CPP und NPA haben im Rahmen der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), einem aus insgesamt 18 Mitgliedsorganisationen bestehenden revolutionären Bündnis, erklärt, den Genfer Konventionen beizutreten und sich somit dazu verpflichtet, das Leben der Zivilbevölkerung inmitten der Feindlichkeiten des Bürgerkriegs zu schützen.

Als eine revolutionäre Bewegung, die die Interessen der Filipinos vertritt, führte die NDFP mit einem eigenen Verhandlungsteam die mittlerweile ausgesetzten Friedensverhandlungen mit Regierungsemissären. Kürzlich folgte die CPP dem Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres, als ihr Zentralkomitee vom 25. März bis zum 30. April aufgrund des grassierenden Coronavirus einseitig einen Waffenstillstand erklärte - was Guterres in einem Brief an die NDFP ausdrücklich würdigte.

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