nd-aktuell.de / 25.07.2020 / Reise / Seite 30

Stadt der Superlative

Eine der ältesten Städte Deutschlands betört mit Gastfreundschaft im Tante-Emma-Laden und ist stolz auf einen Riesen-Goldschatz - ausgebuddelt von Hobby-Archäologen.

Stephan Brünjes

Ex-Sklave Nubius ist in Todesgefahr, er lässt uns mitzittern beim Gang durch klamme Katakomben und verwitterte Torbögen der Kaiserthermen-Ruine. Wir Zuschauer sind Sklaven - in Jeans und Shorts, Kapuzenpulli oder T-Shirt - als Teilzeit-Statisten der »Tödlichen Intrigen«. Das ist ein lose an historische Begebenheiten angelehntes Walking-Drama über den Bau des stadiongroßen Thermen-Komplexes. Bis heute ist er ein Eckpfeiler in Triers Altstadt - neben der Stadttor-Ikone Porta Nigra und dem Amphitheater, die beide ebenfalls Schauplätze ähnlicher Inszenierungen mit Gladiatoren und Legionären in Kampfmontur sind. Zu Trier passen solche Historien-Dramen, denn keine Stadt nördlich der Alpen hat so viele steinerne Reste aus der Römerzeit zu bieten wie diese unweit der luxemburgischen Grenze. Triers Blüte lag im 4. Jahrhundert nach Christus - als kaiserliche Ersatzresidenz für Rom und Bollwerk gegen zudringliche Germanen-Stämme. 80 000 Menschen lebten damals hier. Heute sind es gerade mal 30 000, umrahmt von einem Grüngürtel aus Mosel-Weinhängen.

Erster antiker Superlativ, der auf die Besuchsliste sollte: Die Basilika, der weltweit größte erhaltene Einzelraum der Antike mit Flugzeughangar-Maßen. Hier echot jedes »Hallo!« erst nach sieben Sekunden zurück. Gewärmt von Fußbodenheizung thronte Kaiser Konstantin hoch über seinen Gästen, damit sie sich winzig fühlten. Fünf Gehminuten entfernt liegt der Hauptmarkt, Triers Fachwerk- und Fußgängerzonen-Knotenpunkt. Hier kreuzten sich früher zwei Römerstraßen. Heute sind es die Touristen-Karawanen.

Abseits der Besuchermassen liegt das triste Trier. Im engen Maarviertel blättert an vielen Fassaden der Putz, Bäcker Olbertz hat vermutlich in den 1970er Jahren zuletzt umdekoriert, und manch ein Laden steht leer. Aber »Uns Rita« brummt: Die Tante Emma des Quartiers bietet sofort Kaffee an, zeigt ihre gemalten Bilder, preist das Gemüse in den Auslagen und freut sich, wenn Kunden die 1950er-Jahre-Maggiflaschen und Persil-Blechschilder bewundern. Dann schaut der Müllmann auf ein Bier herein, erzählt von seiner Tour und klagt über den Chef. Eine Nachbarin bringt Rita dampfenden Spießbraten als Mittagessen - eine mächtige Portion. Weshalb Rita dem Müllmann das Puddingteilchen aus der Bäckerei Olbertz schenkt, das sie sich als Anti-Hunger-Reserve zurückgelegt hatte. Wer wissen will, wie Trier tickt, was die Leute bewegt - einfach von Rita noch einen Kaffee nachschenken lassen und weiter zuhören.

Von Maar zu Marx ist es in Trier nie weit, denn Marx ist hier fast so ein Name wie anderenorts Müller. Triers berühmtester Marx hieß Karl mit Vornamen, wurde vor gut 200 Jahren geboren und steht seit 2018 unübersehbar neben der Porta Nigra - als Fünf-Meter-Denkmal: ein umstrittenes Geschenk aus China. Das die Stadtoberen aber dankbar aufstellten, auch darauf hoffend, dass die chinesischen Besucher nicht mehr nur aus dem Reisebus springen, ein Foto vorm Karl-Marx-Haus machen und dann weiterfahren, sondern nun den einen oder anderen Euro in Trierer Ladenkassen klimpern lassen.

Vielleicht bei Gisela Hochzeit, die tatsächlich so heißt. Sie führt seit 1961 ihren Laden »Gisa-Schirm« in der Trierer Innenstadt, hat eine enorme Auswahl und repariert kaputte Schirme noch selbst. Mit Glück ist auch ihr einziger »Mitarbeiter« da, ein Adeliger: Lord von Gollenstein, Gisas Airdale-Terrier. Im Wortsinne naheliegender aber ist, dass chinesische Besucher gegenüber vom Marx-Denkmal in den 1-Euro-Shop strömen und hier - vermutlich nichtsahnend - in dem Haus stehen, in dem Karl Marx seine Schulzeit verlebte und dabei oft an einem Schatz vorbeilief, der erst 1993 entdeckt wurde - Triers zweiter antiker Superlativ.

Ein Bagger schachtet im September 1993 die Baugrube für ein Parkdeck am Klinikum »Mutterhaus der Borromäerinnen« aus und reißt dabei ein etwa 30 Zentimeter hohes Bronzegefäß auf. Was herausfällt, bleibt zum einen Teil in den ausgebuddelten Erdhaufen am Klinikum liegen, zum anderen Teil landet es - vom Lkw abtransportiert - auf der anderen Moselseite. Beide Orte sind über Nacht bevölkert von Menschen, die sich durch den Lehm wühlen. Denn schnell spricht sich herum, dass da Goldmünzen zu finden seien. Allein gut 1000 Münzen pult Erich Eixner - ausgestattet mit einem Metalldetektor - am Klinikum aus der Erde, nimmt sein römisches Gold im Plastikeimer mit nach Hause, stellt ihn auf den Küchentisch und bestaunt den Fund.

Noch in der Nacht erholt er sich - wie wenig später offenbar auch andere Schatzsucher - vom Goldrausch. Schätzungsweise 96 Prozent des Fundes wird beim Rheinischen Landesmuseum Trier abgeliefert, wo er bis heute unter Panzerglas zu bestaunen ist: Rund 2500 Münzen, gut 18,5 Kilo schwer - mit den Köpfen von 27römischen Kaisern drauf, denn die Geldstücke stammen aus der Zeit von 54 bis 196 nach Christus und entsprechen etwa dem Jahressold von 200 Legionären. Gleich daneben steht ein Plastikeimer. Der von Erich Eixner.