nd-aktuell.de / 28.07.2020 / Kultur / Seite 13

»Ich mache das, worauf ich Lust habe«

Eine neue Generation von Künstler*innen wie Bad Bunny geben dem Reggaeton eine politischere Richtung

Valentina Mariebelle

Bad Bunny ist der zweite Mann auf dem Playboy-Cover - nach dessen Gründer Hugh Hefner. Bad Bunny ist zudem derzeit einer der bekanntesten Künstler der urbanen Musikszene Lateinamerikas. Er vereint nicht nur die Klänge von klassischem Reggaeton mit Latinx-Trap und neuen Einflüssen, sondern vor allem auch mit neuen Inhalten. Genau wie der Musikstil des Reggaeton, kommt auch der 26-jährige Sänger aus Puerto Rico. Inzwischen sind sowohl Bad Bunny als auch das Genre weltweit bekannt. Gleichzeitig werden aber auch Stimmen laut, die kritisieren, wovon die Texte der Mehrzahl der Reggaetonlieder eigentlich handeln: Sex. Und dieser wird, besonders in älteren Songs, recht explizit dargestellt. Die männliche Dominanz innerhalb der Szene geht dabei häufig mit einer recht respektlosen Darstellung von Frauen und auch von Sex einher.

»Reggaeton ist ein offenes Buch, das die beste Lektüre über die zeitgenössische Gesellschaft Puerto Ricos bietet«, so Bryan Negrón, Autor des Blogs »Puesto Pa’l Perreo« (dtsch.: bereit für den Perreo, einen Tanzstil des Reggaeton). Die Musikrichtung ist allerdings auch ein Buch, das wir zu lesen wissen sollten, bevor erneut das dämonisierende Bild des Latino-Machos reproduziert wird. Ja, Sexismus ist ein großes Problem in Lateinamerika, und ja, das spiegelt sich in der Musik wieder. Doch gerade in den letzten Jahren hat sich viel verändert, und das sollte nicht ignoriert werden.

Künstler*innen wie Bad Bunny repräsentieren eine neue Generation, die inklusiv und offen sein will. Der Ton in den Texten hat sich verändert: Bestehende Missstände werden darin thematisiert. Ein gutes Beispiel dafür ist das Stück »Bichiyal« von Bad Bunny, das sich sowohl sexistischer als auch klassistischer Diskriminierung selbstermächtigend entgegenstellt. Der Songtitel setzt sich zusammen aus den Wörtern »bicha« und »yal«, zwei Begriffen aus dem puerto-ricanischen Slang. Abgeleitet vom englischen »bitch« werden mit »bicha« Frauen und queere Personen aus der gehobenen Schicht als versnobt und arrogant dargestellt. Im Gegensatz dazu steht »yal«, das von »girl« über »gyal« aus dem Jamaikanischen übernommen wurde und inzwischen als abwertende Bezeichnung für Frauen und queere Personen aus niedrigen sozialen Schichten verwendet wird. Beide Ausdrücke wollen FLINT-Personen (FLINT steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle, Nicht-binäre und Trans) dafür degradieren, laut ihre Meinung zu sagen und ihre Sexualität offen zu leben.

Mit »Bichiyal« liefert Bad Bunny einen Song, der genau diese Personen feiert, die ursprünglich durch die Begriffe beleidigt werden sollten. Er schafft damit eine mutige Selbstbezeichnung, die mit Stolz zeigt: Wir lassen uns nicht abwerten! Weder von sexistischen, noch von klassistischen Strukturen. Klassismus ist hier ein wichtiges Stichwort. In Lateinamerika ist er ebenso stark verbreitet wie die Armut, die er bloßstellt. In vielen Ländern, in denen Reggaeton sehr populär ist, stellt Bildung ein Privileg dar. Dementsprechend ist der Einfluss von Medien wie Musik - also auch von Musiker*innen - sehr hoch. Wenn also ein*e Musiker*in wie Bad Bunny in Songtexten, Musikvideos und sozialen Netzwerken konsequent Stellung gegen Diskriminierung bezieht, hat das enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Ähnlich wie Hip-Hop ist Reggaeton, zunächst als ein Subgenre desselben, während der 90er Jahre in den sozial schwachen Gegenden von Puerto Rico entstanden. Der Sound entwickelte sich unter den Einflüssen der jamaikanischen Genres Reggae und Dancehall und dem lateinamerikanischen Merengue, vom Rap hin bis zu dem, was er heute ist. Wie viele lateinamerikanische Länder ist auch Puerto Rico stark katholisch geprägt, weshalb Sexualität lange Zeit ein absolutes Tabuthema gewesen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich leichter nachvollziehen, woher die provokative Wort- und Themenwahl des Reggaeton stammt. Inzwischen hat sich das Genre von seinem »Straßenimage« wegentwickelt und läuft nun in Radios weltweit.

Der Bezug zum Rap ist aber auch bei Bad Bunny vor allem in seinen ersten Veröffentlichungen deutlich spürbar. Auf dem Cover des Albums »YHLQMDLG« (»Yo hago lo que me da la gana« - »Ich mache das, worauf ich Lust habe«) ist ein Junge auf seinem Fahrrad zu sehen - ein beliebiger Junge aus der unteren Mittelschicht Puerto Ricos, vielleicht nicht mit den besten Aussichten, aber mit einer Vision. So wie Bad Bunny es einmal war. Genau solche Jungen und Mädchen kann er mit seiner Musik erreichen. Im Bewusstsein dieser Verantwortung zeigt er in seinen Musikvideos Diversität, thematisiert häusliche Gewalt, positioniert sich öffentlich gegen diskriminierende Äußerungen seiner Kolleg*innen und macht auch auf Probleme außerhalb der Musikszene aufmerksam. Nachdem in Puerto Rico eine Transfrau auf der Straße erschossen wurde, bezeichneten viele lokale Medien die Tote als »Mann mit Rock«. Kurz darauf trug Bad Bunny bei einem Auftritt in Jimmy Fallons »The Tonight Show« ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Sie ermordeten Alexa, keinen Mann mit Rock« - eine Geste der Solidarität, die internationale Beachtung auf das Schicksal von Alexa Negrón Luciano lenkte.

Diese Art von Solidarität kann auch neue Türen für Sänger*innen der LGBTIQ-Gemeinschaft öffnen. Einige von ihnen sind La Delfy, Sailorfag und Ms Nina, die dem Subgenre Neo-Perreo angehören, einer Bewegung queerer Musiker*innen, die Reggaeton machen, bei dem sich auch LGBTIQ-Personen wiederfinden können. Zwar ist diese neue Strömung noch nicht in der Mitte der Musikindustrie angekommen, bekommt aber mehr und mehr Aufmerksamkeit.

Überdies sind mittlerweile auch im Mainstream Persönlichkeiten vertreten, die einen progressiven Reggaeton verkörpern, wie die Karol G, Anitta, Natti Natasha und Becky G. In allen Musikrichtungen der Industrie taucht aber immer wieder auch der sogenannte Madonna-Hure-Komplex auf. Frauen werden entweder als »rein« und engelsgleich - wie die Jungfrau Maria - oder als verrucht, erotisch und heimtückisch dargestellt. Dieser Mechanismus ächtet Frauen dafür, ein selbstbestimmtes (Sexual)Leben zu führen, und festigt patriarchales Denken auch bei Jugendlichen. Die Reggaetoneras präsentieren sich hingegen als starke Frauen, feiern ihre Sinnlichkeit und zeigen, dass Sex nicht gleich sexistisch ist.

Aufgrund ihrer schonungslosen Wortwahl bietet die Música Urbana sehr viel Angriffsfläche, um gleich ein ganzes Musikgenre zu verurteilen - noch eine Gemeinsamkeit mit dem Hip-Hop. Dass sexistische und problematische Inhalte in allen Genres immer wieder auftauchen, ist keine Rechtfertigung für den existenten Machismo des Reggaeton. Trotzdem bleibt die Frage, warum so bereitwillig und von oben herab auf genau die Musik gezeigt wird, die aus sozial schwachen Schichten stammt. Das ist genauso problematisch wie das Verurteilen des Reggaeton - einem wichtigen Element der Musikkultur Lateinamerikas - aus einer Perspektive heraus, die vom Wohlstand des Globalen Norden geprägt ist. Wer tatsächlich gegen sexistische Strukturen angehen möchte, sollte stattdessen eher versuchen, mehr Reichweite für progressive Interpret*innen zu schaffen.