nd-aktuell.de / 28.07.2020 / Politik / Seite 7

Fortgesetzte Tragödie auf Lampedusa

Politik ignoriert unhaltbare Zustände im Auffanglager für Flüchtlinge und Migranten auf der Mittelmeerinsel

Anna Maldini, Rom

Das Auffanglager von Lampedusa ist hoffnungsvoll überfüllt - mal wieder, muss man sagen. Dort, wo eigentlich Platz für 95 Migranten ist, sind heute fast 1000 untergebracht. Und die dadurch prekäre Lage auf der kleinen Mittelmeerinsel ist - auch das nicht zum ersten Mal - ein gefundenes Fressen für die populistische Rechte in Italien, die mit Vorliebe die Angst vor Migranten schürt.

Sie kommen fast stündlich: kleine Holz- oder Schlauchboote mit zehn oder auch 50 Migranten an Bord. Einige werden von der Küstenwache ausgemacht und dann in Lampedusas Hafen begleitet oder geschleppt, andere bleiben unentdeckt, bis sie an der Mole ankern. Fast alle kommen aus Tunesien; das politisch, sozial und wirtschaftlich extrem instabile Land ist zum neuen Ausgangspunkt für die Überfahrten nach Italien geworden, nachdem Libyen auch für die Schleuserbanden zum Teil zu gefährlich wurde.

Viele der Flüchtlinge, die in diesen Tagen und Nächten in Lampedusa an Land gehen, sind selbst Tunesier - vor allem junge Männer, die sich in Europa eine bessere Zukunft erhoffen. Andere kommen aus Libyen, wo sie manchmal jahrelang in unmenschlichen Lagern und Gefängnissen ausgeharrt haben. Viele wurden dort vergewaltigt und gefoltert, waren Handelswaren krimineller Organisationen, die von den verschiedenen Machthabern im nordafrikanischen Land unterstützt werden.

Auch während der Corona-Krise sind immer wieder Flüchtlinge angekommen - seit Anfang des Jahres in Italien bereits etwa 11 000 Personen. Wie viele von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und wieder zurück in die Hölle gebracht wurden, der sie sich entronnen glaubten, ist ebenso unbekannt wie die Zahl der Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind.

In den vergangenen Monaten beschäftigte die Öffentlichkeit anderes und das Schicksal der Migranten hat niemanden so richtig interessiert. Weder die Regierung, die sich vor allem mit der Pandemie und ihren verheerenden Auswirkungen konfrontiert sah, noch die rechte Opposition, die unter diesen Umständen wohl keine Möglichkeit sah, aus dem Flüchtlingsdrama richtig Kapital zu schlagen.

Das hat sich jetzt geändert. Vor allem die Lega, die im vergangenen halben Jahr in den Umfragewerten ständig gesunken ist, hat sich nun wieder auf ihr Lieblingsthema besonnen und verknüpft nun Flüchtlinge mit Corona nach dem Motto: »Die bringen uns die Krankheit ins Land.«

Aber auch Totò Martello, Bürgermeister von Lampedusa und von einer Mitte-Links-Koalition gewählt, kritisiert die Regierung. »Die Lage ist unerträglich geworden. Die Regierung muss für die Insel den Notstand ausrufen, und wenn sie es nicht tut, dann mache ich es eben. Das Auffanglager kann keine Migranten mehr aufnehmen und die Verantwortung für diese Situation liegt weder beim Bürgermeister, noch bei der Stadtverwaltung und erst recht nicht bei den Einwohnern«. Er fordert, dass die Regierung in Rom eine Luft- und Seebrücke einrichtet, um die Flüchtlinge sofort nach ihrer Ankunft aufs Festland zu bringen. »So wie die Lage jetzt ist, können wir die Migranten noch nicht einmal alle identifizieren, geschweige denn auf Corona testen«.

Martello will sich auf keinen Fall von der Rechten instrumentalisieren lassen: »Herr Salvini ist ein Serien-Lügner, wenn er sagt, dass keine Migranten gelandet sind, als er Innenminister war. Das ist schlichtweg falsch.« Und: »Als Salvini Innenminister war, haben ich ihn als Bürgermeister mehrmals aufgefordert, auf unsere Insel zu kommen und sich die Lage selbst anzusehen. Ich habe nie eine Antwort erhalten, aber wenn er gekommen wäre, hätte er die Boote mit den Flüchtlingen in unseren Hafen einlaufen sehen können. Wahrscheinlich ist er gerade deshalb nicht gekommen, weil er sonst die Tatsachen nicht mehr einfach hätte leugnen können.«

Am Wochenende kam die derzeitige, parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese nach Lampedusa, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Sie versprach, etwas zu tun und wird möglicherweise ein ausgedientes Kreuzfahrtschiff schicken, auf dem die Migranten die zweiwöchige Quarantäne verbringen können.