nd-aktuell.de / 31.07.2020 / Kultur / Seite 13

Kaltblütig ermordete Avantgardistin

Frauen-Geschichte(n): Die Malerin Elfriede Lohse-Wächtler

Martin Stolzenau

Sie stammte aus Dresden und ist eine zu Unrecht vergessene avantgardistische Malerin, die mit ihrer expressiven Farbigkeit zu ihrer Zeit großes Aufsehen erregte und vor 80 Jahren, am 31. Juli 1940, ein Opfer des Euthanasie-Mordprogramms der Nazis wurde. Rund 400 Arbeiten hinterließ die Künstlerin, die erst vor Kurzem wiederentdeckt wurde. Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein erinnert an sie, ihr Schaffen und ihren Leidensweg.

Elfriede Wächtler wurde 1899 als Kaufmannstochter geboren. Die Eltern lehnten den Wunsch des zeichnerisch begabten Mädchens nach einer musischen Ausbildung ab, da dies nicht deren konventionellem Frauenbild entsprach. Sie sollte das Schneiderhandwerk erlernen. Nach heftigen Auseinandersetzungen verließ Elfriede mitten im Ersten Weltkrieg das Elternhaus, um Kurse an der Kunstgewerbeschule sowie der Kunstakademie in Dresden zu besuchen. Sie schloss sich 1919 der dortigen Sezession-Gruppe an und gehörte bald zum Freundeskreis um Otto Dix, der ihr Vorbild wurde. Aber auch Conrad Felixmüller, in dessen Ate-lier sie arbeiten durfte, prägte die junge Künstlerin, die sich in den Opernsänger Kurt Lohse verliebte, der auch als Maler dilettierte. Nach der Heirat zog das Paar zunächst nach Görlitz und dann nach Neustrelitz, wo er am jeweiligen Theater engagiert war. Elfriede trug mit Plakatentwürfen zum Lebensunterhalt bei.

1925 übersiedelten die beiden nach Hamburg, wo Lohse an Tbc erkrankte und sich eine Geliebte hielt, woran schließlich die Ehe zerbrach. 1928 konnte Elfriede ihre erste Ausstellung in der Hansestadt ausrichten. Jahrelanger Existenzkampf und das Scheitern ihrer Ehe führten bei ihr zu seelischen Überreaktionen. Sie wurde in die Krankenanstalt Hamburg-Friedrichsburg eingewiesen, wo man »Verdacht auf Schizophrenie« diagnostizierte. Die Abgeschiedenheit des Klinikaufenthaltes förderte die Kreativität der Malerin. Ihre Werkmappe »Friedrichshagener Köpfe« mit rund 60 Arbeiten brachten ihr eine weitere Ausstellung und viel Lob ein. Nach der Entlassung aus der Klinik schuf sie vor allem Bilder vom Hafen, aus dem Arbeiter- und Prostituiertenmilieu sowie viele eindrucksvolle Selbstbildnisse.

1931 kehrte Elfriede in ihr Elternhaus nach Dresden zurück. Ihren Seelenzustand wie auch ihre avantgardistische Malweise empfanden Vater und Mutter jedoch als Last. Bereits im Jahr darauf veranlassten sie die Einweisung der Tochter in die Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf bei Dresden. Die Hamburger Diagnose diente als Vorwand. Nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt worden war, verfügten NS-Ärzte mit Einwilligung der Eltern ihre Entmündigung und Überführung nach Pirna-Sonnenstein zur Zwangssterilisation, was Elfriedes Psyche endgültig untergrub. Zumal auch ihre Bilder als »entartete Kunst« aus Ausstellungen und öffentlichen Sammlungen entfernt wurden. Elfriede Lohse-Wächtler gehörte zu jenen 13 720 Menschen, die 1940/41 in der »Heil- und Pflegeanstalt« Pirna-Sonnenstein ermordet wurden. Einige Beteiligte an den dortigen Euthanasie-Verbrechen konnten im Dresdner Ärzteprozess 1947 verurteilt werden.

Nach ihrer kunsthistorischen Rehabilitation mit einer Ausstellung in Hamburg 1989 setzte die schrittweise Wiederentdeckung der Malerin ein. 1997 ehrte eine Filmdokumentation Elfriede Lohse-Wächtler. In Dresden, Pirna, Hamburg, Berlin, Friedrichshafen am Bodensee, Bremen, Neu-Ulm, Solingen und Heidelberg gab es Sonderausstellungen. Publikationen beleuchteten ihr Schicksal, darunter Georg Reinhardts Buch »Im Malstrom des Lebens versunken« sowie eine Biografie von Boris Böhm. In Hamburg-Friedrichsberg, Arnsdorf sowie Pirna-Sonnenstein wurden Straßen nach ihr benannt. Am nachhaltigsten erinnern an sie aber immer noch ihre erhaltenen Arbeiten: Porträts, Stillleben von Blumen und Landschaften sowie Hafenansichten. Sie sind Zeugnisse ihrer künstlerischen Meisterschaft und unterstreichen einmal mehr die Tragik ihres gewaltsamen Endes.