nd-aktuell.de / 07.08.2020 / Politik

Die Opposition tritt ungewöhnlich stark auf

In Belarus steht Amtsinhaber Lukashenko von mehreren Seiten unter Druck

Minsk. Massenfestnahmen, ein vereiteltes »Massaker« und eine Sprache der Angst: Vor der Präsidentschaftswahl in Belarus an diesem Sonntag hat der seit 26 Jahren autoritär regierende Staatschef Alexander Lukaschenko schwere Geschütze aufgefahren. Trotzdem ist die Opposition in dem osteuropäischen Land so stark wie schon lange nicht mehr. Tausende Menschen nahmen in den vergangenen Wochen an Wahlkampfveranstaltungen von Lukaschenkos Hauptrivalin teil, der bis vor kurzem noch völlig unbekannten Swetlana Tichanowskaja. Auch die antirussische Rhetorik Lukaschenkos deuten Beobachter als Hinweis, dass sich in Belarus Veränderungen anbahnen.

Tichanowskaja hatte das Land mit ihrer spontanen Präsidentschaftskandidatur überrascht. Nach dem Ausschluss ihres Mannes, des regierungskritischen Bloggers Sergej Tichanowski, von der Wahl, verkündete die 37-Jährige, an seiner Stelle anzutreten. »Aus Liebe zu meinem Mann«, wie die ausgebildete Englisch- und Deutschlehrerin Mitte Juli sagte.

Seither hat die Hausfrau eine Welle der Begeisterung ausgelöst - auch dank ihren beiden politisch erfahreneren Mitstreiterinnen Weronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa, der Frau des ebenfalls von der Wahl ausgeschlossenen Waleri Zepkalo und der Kampagnenmanagerin des inhaftierten Oppositionspolitikers Viktor Babaryko.

Zwar rechnen Beobachter mit einem klaren Sieg Lukaschenkos. Schon im Vorfeld des Hauptwahltags am Sonntag beklagte die Opposition Manipulationen, die vergangenen vier Urnengänge wurden wegen Betrugs und Einschüchterungen von unabhängigen Wahlbeobachtern nicht anerkannt. Dennoch sind in Belarus nach Einschätzung von Experten Umbrüche im Gange.

An nichts wird das so deutlich wie an den heftigen Angriffen Lukaschenkos auf Moskau - dem wichtigsten Verbündeten des Landes. Nach der Festnahme von 33 angeblichen Söldnern der berüchtigten russischen Gruppe Wagner sprach Lukaschenko von »Massaker«-Plänen in der Hauptstadt Minsk. Zuvor hatte der Staatschef bereits zu Militärübungen an der russischen Grenze aufgerufen, Sicherheitskräfte hatten zudem eine Tochtergesellschaft des russischen Energieriesen Gazprom gestürmt.

Zwar fielen die Reaktionen aus Moskau bislang zurückhaltend kritisch aus, doch Experten sehen die Beziehungen zwischen den Nachbarstaaten vor einer Zerreißprobe. Lukaschenko habe ein Zukunftsszenario entworfen, in dem die »Beziehungen zwischen den beiden Staaten von brüderlich und strategisch hin zu einfach und praktisch« reduziert würden, sagt der Minsker Politik-Experte Arsenij Siwitski.

Artjom Schraibman vom Moskauer Carnegie-Zentrum rechnet mit einer Zunahme an beidseitigen »Provokationen und unkoordinierten Aktionen«. Der Vertrauensverlust zwischen den Verbündeten werde sich verschärfen. Erstmals habe Russland sich bei einer Wahl im Nachbarland nicht hinter Lukaschenko gestellt, urteilte der von der Wahl ausgeschlossene und inzwischen nach Moskau geflohene Oppositionspolitiker Zepkalo im ukrainischen Radiosender Hromadske.

Bei Verhandlungen über Öl- und Gaspreise liegen Minsk und Moskau, deren Wirtschafts- und Sicherheitspolitik in der Russisch-Weißrussischen Union aufs Engste miteinander verbunden sind, schon länger im Clinch. Ein Energieabkommen war in diesem Jahr gescheitert - Lukaschenko warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anschließend vor, dieser habe Belarus im Gegenzug für günstige Energiepreise dem russischen Staat »einverleiben« wollen.

Ähnliche Vorwürfe erhob auch der Oppositionspolitiker Alexander Milinkewitsch, der 2006 gegen Lukaschenko angetreten war. Russland wolle die Wahl im Nachbarland dazu nutzen, den »Hausdrachen« Lukaschenko zu »zähmen« - oder ihn durch einen besseren Verbündeten zu ersetzen, schrieb Milinkewitsch mit Blick auf die jüngsten Konflikte zwischen Minsk und Moskau im Online-Dienst Facebook. AFP/nd