nd-aktuell.de / 10.08.2020 / Kultur / Seite 14

Mit dem bösen Blick

Murathan Muslu muss man sich merken, er spielt in einem ZDF-Krimi nach einer Vorlage von Franz Dobler

Jan Freitag

Ein Bodyguard ist stets da, aber selten zu sehen. Er packt zu, wenn es brenzlig wird, hält sich ansonsten aber eher im Hintergrund. So bewahrt auch der Bodyguard in »Nicht tot zu kriegen« sein prominentes Objekt vor einem Stalker und kommt ihr dabei auch emotional so nah wie Kevin Costner im gleichnamigen Blockbuster von 1992 Whitney Houston. Das ist seltsam, denn anders als im Kinofilm von Mick Jackson ist der Personenschützer 28 Jahre später ein maulfauler Muskelprotz Mitte 30, dessen doppelt so alte Schutzperson noch weniger an Whitney Houston erinnert als ihr Sicherheitsmann an Kevin Costner.

Im ZDF-Krimi heißt er Robert Fallner, nicht Frank Farmer wie damals Costner, und lebt in München, statt in L.A., wo der Ex-Cop den Ex-Star Simone Mankus vor einem bedrohlichen Fan behüten soll. Betroffene und bezahlter Schützer werden dabei von Darstellern verkörpert, denen die junge Whitney und der grazile Kevin kaum ferner sein könnten: Iris Berben und Murathan Muslu. Doch während erstere von Füssen bis Flensburg fast jeder kennt, hat letzterer allenfalls von Innsbruck bis Wien Wiedererkennungswert. Noch. Denn Muslu ist eine Urgewalt der imposanten Art. Aufgewachsen als Sohn türkischer Eltern im Plattenbaubezirk Ottakring, spielt er meist harte Jungs mit mehr oder weniger Migrationsvordergrund. Denn als Regisseur Umut Dağ seinen Wiener Kumpel 2011 für den Kurzfilm »Papa« engagierte, war Muslu eher als Aqil bekannt, ein HipHop-Poet, dessen Crew Sua Kaan die Rechten gerade mit dem Track »Balkanaken« gegen sich aufgebracht hatte. Gangsterrap und Bürgerschreck, kahler Kopf und böser Blick, reichlich Ghettoschmäh und Überstunden im Gym: fertig war das Klischee vom Schlägertyp, der nach seinem Durchbruch im Wiener »Tatort« 2013 mit Vorliebe im Kontext krimineller Netzwerke besetzt wurde.

Darüber also hätte man gern an einem Wochentag, halb elf, mit ihm telefoniert. Wäre er denn rangegangen. »Spät geworden gestern«, entschuldigt sich der Nachwuchsschauspieler von 38 Jahren beim Rückruf am Nachmittag müde und rückt dann doch hellwach einige Stereotypen grade, ohne sie ganz auszuräumen. Mittlerweile sei bei ihm zwar »eine Handvoll Nicht-Gangster zusammengekommen«, meint Muslu mit Ottakringer Zungenschlag. »Aber Menschen, die nicht so ganz deutsch aussehen«, fügt er so ruhig, aber resolut wie die meisten seiner Rollen hinzu, »kriegen generell noch immer kaum Hauptrollen, die nichts mit der Hautfarbe zu tun haben.« Da dürfe sich besonders das Fernsehen mehr trauen. Auch deshalb habe er - abgesehen von der Chance, mit Iris Berben zu spielen - die Rolle im ZDF übernommen. Ein gefallener Cop im Dienst einer alternden Filmdiva, die Pelz trägt und Schampus säuft, mangels neuer Angebote aber nun in die Promi-Hütte ziehen muss.

Wie Murathan Muslu das verkapseltes Ego von Robert Fallner mit dessen Verletzlichkeit kämpfen lässt, wie er seine Figur beim Wachsen scheitern, aber beim Scheitern auch wachsen lässt, wie da zwei Köpfe zeitgleich durch die Wände ihrer eigenen Panzer stoßen: dafür muss der Autodidakt zwar erst nach acht Minuten die ersten Worte sagen, hat mit seiner Gesichts- und Körpersprache bis dahin aber längst Bände gesprochen. »Ich hab’ keine Zeit, ihre Dossiers zu lesen«, meint sein Robert Fallner einmal knapp. »Zu viele Buchstaben.«

Die ebenso coole wie melancholische Figur des Fallner, der sich als gescheiterter Cop bei der Sicherheitsfirma seines Bruders verdingt, hat der Augsburger Schriftsteller Franz Dobler erschaffen. Sein Roman »Ein Schlag ins Gesicht«, die Vorlage von »Nicht tot zu kriegen«, erschien 2016.

Als ZDF-Krimi, gedreht von der »Tatort« erfahrenen Nina Grosse, wird daraus ein sehenswertes Kammerspiel dank der beiden Hauptdarsteller. Muslu wurde vom Filmfan mit 600 VHS-Kassetten zum Filmstar mit allerlei Hauptrollen. Die Kunst sei da längst mehr als ein Zufluchtsort, meint er, »sie ist ein Kreislauf, bei dem das eine oft unwillkürlich zum anderen führt.« Eigene Drehbücher hat er bereits auf der Festplatte, malen kann er auch. Man wird von ihm noch einiges hören, vom sanften Bürgerschreck mit dem bösen Blick.

»Nicht tot zu kriegen«, ab 10. August auf ZDF.