nd-aktuell.de / 14.08.2020 / Kultur / Seite 13

Sanft-autistische Psychedelik

Benjamin Moldenhauer

Will Oldhams Werk hat mit den Jahren tendenziell unüberschaubare Ausmaße angenommen. Hunderte Songs hat der wohl größte amerikanische Songwriter zumindest seiner Generation seit dem 1993 unter dem Namen Palace Brothers veröffentlichten Debüt »There Is No-One What Will Take Care of You« geschrieben und aufgenommen. Sie sind oft komisch und traurig und verschroben und schön zugleich. Ein Song, in dem Oldham unter anderem die Zeile »If God could make me cry/I would run along the water« singt, hat dann den Titel »You Have Cum in Your Hair and Your Dick is Hanging Out«. Und von »I See a Darkness«, einem der schönsten Lieder über Depression und Freundschaft in der Geschichte der Popmusik, hat Oldham, unter dem bis heute verwendeten Namen Bonnie »Prince« Billy, noch einmal eine beschwingte Zirkusmusik-Version aufgenommen, nachdem das Stück in der Cover-Version von Johnny Cash überall zu hören war.

Musikalisch hat Will Oldham in den letzten Jahren immer wieder das Offene gesucht und ist Kollaborationen eingegangen, die entweder Traditionsbewusstsein oder Erweiterung des eigenen Systems ermöglichen. »Sein eigenes Publikum sein«, nennt das Oldham. Gemeinsam mit der Sängerin Dawn McCarthy hat er eine Sammlung von Songs der Everly Brothers eingespielt (»What the Brothers Sang«, erschienen 2013). Und im letzten Jahr mit Bryce Dessner minimalistische Neoklassik in Verbindung mit dem American Songbook und seinem eigenen Riesenwerk gebracht (»When We are Inhuman«). Die Reduziertheit und Simplizität dieser Ausgestaltung von Singer-Songwriter-tum ist nur vordergründig. Alles differenziert sich weiter aus, greift auf Vergangenes zurück und sucht das Neue.

Auf der jüngsten Veröffentlichung ist Oldhams Stimme nur in vier Songs zu hören. Die übrigen zwölf auf »Hello Sorrow, Hello Joy« werden reihum von den jungen schottischen Folk-Musiker*innen Alasdair Roberts, Jill O’Sullivan und Alex Neilson gesungen, die dann unter unter dem Namen Three Queens in Mourning Versionen von Palace- und Bonnie-Prince-Billy-Songs einspielen. Darunter sind Klassiker wie »New Partner« (jetzt im Duett, was aus dem Trennungslied noch einmal eine andere Geschichte werden lässt), »Lost Blues« und das erwähnte »I See a Darkness«. Aber auch der todtraurige, auf einer entlegenen EP Oldhams erschienene »Christmas Time in the Mountains«, wieder mit so einer Zeile, die für immer kleben bleibt im Kopf: »We need an enemy/ I’m saving all my rage for you.« Bei »Madeleine Mary« wird die sanft-autistische Psychedelik des Originals nun eher lebensfroh interpretiert, die E-Gitarre dengelt und schrubbelt.

Die Verwandlung der Musik Oldhams ist nur eine graduelle, Atmosphäre und Anmutung bleiben erhalten, allerdings darf man sie sich jetzt in einem schottischen Pub vorstellen, um drei Uhr morgens, zwei haben leicht verstimmte Geigen mitgebracht, alle sind angetrunken, nehmen es aber trotzdem sehr genau mit jeder einzelnen Note. Three Queens in Mourning lassen keinen Zweifel daran, dass es ihnen um die Dunkelheit geht, die Oldham in seinen Songs immer wieder besingt. Nur haben sie halt Fideln mitgebracht. Eine ungemein schöne Platte.

Will Oldham/Three Queens in Mourning: »Hello Sorrow/Hello Joy« (Textile Records)