Faule Äpfel mit weißer Weste

Eine Studie untersucht den Anteil von Soja- und Rindfleischexporten aus Brasilien in die EU, die von illegal gerodeten Flächen stammen.

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: 4 Min.

Die von einem Dutzend Wissenschaftlern aus Brasilien, den USA und Deutschland erstellte Studie »Die faulen Äpfel der brasilianischen Landwirtschaft« hat jüngst weltweit Schlagzeilen gemacht. Etwa nur ein Fünftel der jährlichen Exporte von Soja und Rindfleisch aus Brasilien in die Europäische Union (EU) stamme von zuvor illegal gerodeten Flächen von Amazonas-Regenwald und Cerrado-Savanne, so die im Wissenschaftsblatt »Science« veröffentlichte Forschungsarbeit. Dem überwiegenden Teil der Exporte und 80 Prozent der Agrarbetriebe in Brasilien bescheinigt das Forscherteam im Gegenzug eine »weiße Weste«.

»Bis jetzt haben Agrarindustrie und die brasilianische Regierung behauptet, sie könnten weder die gesamte Lieferkette überwachen noch die legale von der illegalen Entwaldung unterscheiden. Dies geht jetzt nicht mehr«, erläutert der Informatiker und Leiter der Studie Raoni Rajão von der Bundesuniversität von Minas Gerais. Das internationale Forscherteam habe eine spezielle Software entwickelt, die anhand von frei verfügbaren Karten und Daten die legalen von den illegalen Abholzungen für die Produktion von Soja und Fleisch unterscheiden und damit die »faulen von den guten Äpfeln« im brasilianischen Agrobusiness trennen könne.

Diese Computerauswertung - der unter anderem vom brasilianischen Rat für wissenschaftliche und technologische Entwicklung, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Forschungsarbeit - kommt zum Schluss, dass 20 Prozent der Soja- und wenigstens 17 Prozent der Rindfleischexporte aus der Amazonas- und Cerrado-Region in die EU von unerlaubt abgeholzten Flächen stammen. Im Umkehrschluss bescheinigen die Forscher der Mehrheit der landwirtschaftlichen Betriebe in Brasilien »abholzungsfrei« zu produzieren.

Doch dieses Ergebnis hat eine problematische Leerstelle: Das internationale Wissenschaftlerteam berücksichtigte lediglich Abholzungen nach 2008. Die erheblich größeren Rodungen der Vorjahre wurden außen vor gelassen.

»Wir haben uns auf die illegale und legale Entwaldung nach 2008 konzentriert, da diese entwaldeten Flächen (und deren Eigentümer) nicht von den Amnestien profitierten«, bestätigt Forschungsleiter Raoni Rajão. Tatsächlich hatte im Jahr 2008 die Regierung Lula da Silva alle bis dahin getätigten illegalen Abholzungen per Gesetz legalisiert und damit die »faulen Äpfel« zu guten gemacht.

Die größten Rodungen in Amazonien fanden aber laut offiziellen Daten in den Jahren 1988 bis 2008 statt, mit Spitzenwerten von fast 30 000 Quadratkilometern im Jahr 1995 und fast 28 000 Quadratkilometern im Jahr 2004. Von 2008 bis 2017 hingegen lagen die jährlichen Abholzungsraten durchweg unter 8000 Quadratkilometern. Ähnlich sieht es beim Cerrado aus, der seit 1970 Opfer der Soja-Expansion ist. Auch hier fanden die größten registrierten Rodungen von 2001 bis 2008 statt mit Spitzenwerten von fast 30 000 Quadratkilometern jährlich von 2001 bis 2004. Ab 2008 blieb die jährliche Cerrado-Vernichtung dann im Schnitt bei etwa 10 000 Quadratkilometern.

Ein weiterer Haken der Studie ist das zugrundegelegte brasilianische Waldgesetz selbst mit seiner Definition von legaler und illegaler Abholzung. Laut »Código Florestal« dürfen Landbesitzer bis zu 80 Prozent der Fläche in der Cerrado-Region und bis zu 20 Prozent im Amazonasgebiet legal kahlschlagen. Der verbliebene Wald muss als sogenannte Waldreserve geschützt bleiben.

Bis heute konnte aber niemand belegen, dass die Tausenden nicht zusammenhängenden Waldreservate, die daraus resultieren, überhaupt ökologisch sinnvoll und langfristig überlebensfähig sind. Raoni Rajão: »Dies ist tatsächlich eine wichtige Debatte über Waldkonnektivität und Biodiversität. Wir haben diese Analyse aber nicht in unsere Studie mit aufgenommen.«

Nicht von den Forschern berücksichtigt wurde auch die gesamte Region des Atlantischen Regenwaldes in den südlichen Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina und Paraná, obwohl diese seit den 1940er Jahren ein Soja-Hauptanbaugebiet ist und wo in diesem Jahr die größten Waldbrände seit Jahrzehnten registriert wurden. Genauso wenig bezieht die Studie die durch das Agrobusiness ausgelösten indirekten Abholzungen und Landvertreibungen in die Bewertung mit ein. Dabei haben Forscherkollegen wie Philip Fearnside vom Amazonas-Forschungsinstitut INPA in Manaus längst nachgewiesen, dass gerade der Bau von Straßen und Häfen für Abtransport und Export der Sojaernte und der Rinderhälften erhebliche Rodungen zur Folge hat.

Somit steht auch die Schlussbehauptung von Raoni Rajão und seinem Wissenschaftlerteam, »Brasilien verfüge mit Sicherheit über alle Elemente, um die Welt mittels einer nachhaltigen Landwirtschaft zu versorgen, die den Klimawandel bekämpfe und Regionen mit der weltweit größten Artenvielfalt schütze«, auf eher wackligen Füßen.

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