nd-aktuell.de / 19.08.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Blutiges Startkapital

Französische Unternehmen verdrängen ihre Sklavenhandelsvergangenheit

Ralf Klingsieck, Paris

Die Spirituosen der Traditionsmarke Marie Brizard gehören zum Standardangebot jedes französischen Supermarkts und auch im Ausland sind sie begehrt. Doch wer weiß schon, dass das Mitte des 18. Jahrhunderts in Bordeaux gegründete Unternehmen seinerzeit am Sklavenhandel beteiligt war? Der wurde seinerzeit unter anderem über die Häfen von Bordeaux, Nantes und Le Havre organisiert. Von dort brachen mit französischer Ware beladene Schiffe nach Afrika auf, um sie dort gegen Sklaven einzutauschen und diese dann nach Amerika zu verschleppen. Dort wurden sie auf dem Sklavenmarkt verkauft, soweit man sie nicht gleich auf den firmeneigenen Zuckerrohrplantagen einsetzte, die die Brennereien von Marie Brizard mit Zucker versorgten.

Das wird heute in der offiziellen Firmengeschichte ausgeblendet, aber Historiker finden in den Archiven durchaus noch Spuren davon. Ähnlich ist es bei der Brennerei Hennessy, die seit ihrer Gründung 1765 in der Küstenstadt Cognac ihren Brandwein fässerweise über Bordeaux nach Afrika schickte und dort Sklaven für Amerika einkaufte. Heute gehört die noble Cognac- und Champagner-Marke Hennessy längst zum hochprofitablen Luxusartikelkonzern LVMH des Milliardärs Bernard Arnault. Hinweise auf Sklavenhandel gebe es im Unternehmensarchiv nicht, lässt der Konzern hartnäckige Journalisten wissen und verbirgt dabei nicht die Empörung, damit überhaupt in Verbindung gebracht zu werden.

Bei anderen Unternehmen sind die blutigen Quellen des Startkapitals schwerer auszumachen, weil sich die Spuren durch vielfache Firmenverkäufe, Fusionen oder Umbenennungen verloren haben. Während sich beispielsweise in Großbritannien unter dem Eindruck der Black-Lives-Matter-Bewegung die Royal Bank of Scotland, die Lloyds Bank, die Bank of England oder die Bierbrauereigruppe Greene King in den letzten Wochen zu ihrer Sklavenhandelsvergangenheit bekannten und sich dafür in aller Form entschuldigten, ist in Frankreich bisher kein Konzern in dieser Weise in Erscheinung getreten.

»Die denken wohl, sie kommen durch Verdrängen davon«, sagt der Historiker Eric Saugera. »Dabei sind von Frankreich aus im Verlaufe von 200 Jahren insgesamt 4000 Schiffe nach Afrika zum Sklavenhandel aufgebrochen.« Das seien allerdings weniger als die Sklavenschiffe, die in England allein vom Hafen Liverpool aus in See stachen. »Im Gegensatz zu England, das im Sklavenhandel mit Abstand führend war, handelte es sich in Frankreich oft nur um ein Gelegenheitsgeschäft und die meisten Reeder und Händler ließen es bei dem vergleichsweise großen Gewinn aus einer oder zwei Rotationen bewenden«, so Saugera. »Auf längere Sicht scheuten sie die damit verbundenen Risiken, denn nur zu oft gab es Meutereien der Sklaven an Bord oder Überfälle durch Piraten.«

Immer wieder können Historiker Beweise für die belastete Vergangenheit freilegen. So ist 1804, als auf Haiti die Unabhängigkeit der Insel proklamiert wurde, nachdem bereits unter dem Eindruck der Französischen Revolution die Sklaven ihre Freiheit erkämpft hatten, der Großgrundbesitzer Jacob du Pan von dort nach Frankreich geflüchtet. Er nahm damals sein Vermögen mit, das er mit der Ausbeutung von Sklaven auf seinen Zuckerrohrplantagen gemacht hatte. Mit diesem Geld gründete er 1816 zunächst in Rouen und dann auch in Paris eine Versicherung, die Compagnie d‘assurances mutuelles contre l’incendie. Die ging später in der Groupe des Assurances de Paris auf, die 1989 von Frankreichs größtem Versicherungskonzern AXA übernommen wurde. Dort weiß man offiziell nichts von dieser Vergangenheit.

Auch als der Vorläufer der französischen Zentralbank, die damals private, aber staatsnahe Banque de France im Jahr 1800 gegründet wurde, gehörten zu den 18 Gründern auch Kaufleute, die mit dem Sklavenhandel reich geworden waren. Dies muss die Finanzbehörde heute kleinlaut einräumen, nachdem Historiker sie mit den entsprechenden Dokumenten konfrontierten.

Studien des Historikers Frédéric Régent von der Universität Sorbonne zufolge machten Geschäfte mit Sklaven Ende des 18. Jahrhunderts vier bis fünf Prozent des Außenhandels Frankreichs aus. Doch selbst die Aufhebung der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhundert war noch einmal ein großes Geschäft. So hat Frankreich 1825 dem unabhängigen Haiti ein Abkommen über eine astronomische Entschädigungssumme für die enteigneten Sklavenhalter aufgezwungen. Als 1848 die durch die Französische Revolution schon einmal abgeschaffte, dann aber durch Napoleon wieder eingeführte Sklaverei endgültig aufgehoben wurde, zahlte der französische Staat an ehemalige Großgrundbesitzer in Réunion, Guadeloupe, Martinique, Guyana, dem Senegal und Madagaskar als Ersatz für deren insgesamt 248 560 Sklaven mehr als sieben Prozent des Staatshaushalts des Jahres 1849.

Wer konkret mit wie viel Goldfrancs abgefunden wurde und für welche Unternehmensgründungen oder Investition diese Mittel verwendet wurden, wird gegenwärtig durch ein Studienprojekt untersucht, das auf Initiative von Nichtregierungsorganisationen zustande kam und dessen Ergebnisse im Herbst veröffentlicht werden sollen. »Dabei dürfte der Schleier von der geschönten Firmengeschichte vieler Unternehmen zerreißen und deutlich werden, welch zentrale Rolle der Handel mit Sklaven und deren Ausbeutung für die Entwicklung des französischen Kapitalismus hatte«, ist der an diesem Projekt beteiligte afrikanische Wirtschaftshistoriker Pape Ndianye überzeugt.