nd-aktuell.de / 19.08.2020 / Politik / Seite 2

Sondieren, was geht

Verdi will bundesweit über den ÖPNV verhandeln

Ines Wallrodt

Diese Tarifrunde ist in mehrfacher Hinsicht besonders: Denn die Gewerkschaft Verdi will die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) dazu bringen, mit ihr über bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen für über 87 000 Beschäftigte des öffentlichen Personennahverkehrs zu verhandeln. Und sie steht nicht allein da: Die Klimabewegung Fridays for Future unterstützt die Forderungen mit Aktionen. Es geht um Urlaub, Weihnachtsgeld und Sonderzahlungen, Wochenarbeitszeit und Einstiegsgehälter, die in den 16 Bundesländern höchst unterschiedlich sind - und vor allem schlechter als vor Beginn der Nullerjahre. Damals hatten die Beschäftigten unter dem Spardruck der Kommunen harte Einschnitte in Kauf genommen. Mit dieser Tarifrunde schickt sich Verdi an, die Verschlechterungen ein stückweit rückgängig zu machen.

Diesen Mittwoch findet ein erstes Gespräch statt. Das sind noch keine verbindlichen Verhandlungen, aber Verdi hofft, dass es ein Einstieg werden könnte. Die kommunalen Arbeitgeber haben sich bislang nicht festgelegt, ob sie sich darauf einlassen wollen. Immerhin, so sieht man es unter Gewerkschaftern, gab es nicht gleich eine Absage. Verdi zufolge soll es nach Ansicht der VKA bei dem Termin darum gehen, »die Wechselwirkungen zwischen den Verhandlungen auf Bundes- und Landesebene zu besprechen«. Parallel werden in den einzelnen Bundesländern Verhandlungen mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden über weitere vor Ort relevante Forderungen geführt. Nachfragen wollte die VKA vor den Gesprächen nicht beantworten.

Der ÖPNV befördert heute nach Angaben von Verdi 24 Prozent mehr Fahrgäste als noch vor 20 Jahren und das mit 18 Prozent weniger Personal. Ihre Kernthemen sind folglich: Entlastung und, wo Belastungen unvermeidbar sind, ihre bessere Bezahlung. Mit einer Forderung für Auszubildende sollen zudem Anreize zum Einstieg in den Beruf geschaffen werden. Der Nachwuchs wird gebraucht. Bis 2030 geht jeder Zweite in der Branche in Rente. 100 000 neue Beschäftigte sind nötig, nur um den Status quo aufrechtzuerhalten, rechnet Verdi vor.

Der Start der Tarifrunde fällt in eine völlig andere Phase als der Beginn der Planung vor etwa zwei Jahren. Damals sprudelten die öffentlichen Einnahmen und die Klimakrise hatte die Bedeutung des Nahverkehrs vor Augen geführt. Durch die Corona-Pandemie brechen den Kommunen nun Einnahmen weg, der Nahverkehr selbst fährt Verluste ein. Der Erfolg dieser Tarifrunde wird sich daher auch daran messen, ob es gelingt, die Finanzierungsfrage auf die bundespolitische Agenda zu hieven. Verdi fordert denn auch »solide und nachhaltige Finanzierungskonzepte unter Beteiligung von Bund und Ländern«. Auch kommunale Arbeitgeber würden das unterschreiben. Die Frage ist, ob sie den Druck nach oben weitergeben oder den einfacheren Weg gehen und bei den Beschäftigten abladen.