Feindbild fremde Sippe

NRW inszeniert die Bekämpfung vermeintlich krimineller »Clans«

Am Samstagabend war es mal wieder so weit. Etwa 1000 Polizisten rückten in den Abendstunden unter anderem in Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen aus, um »Clans« zu bekämpfen. Solche Einsätze gibt es regelmäßig, meist aber nur in einer Kommune. Manchmal finden sie gleichzeitig in mehreren Städten statt, und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) begleitet die Einsätze. Auch Journalisten werden dann im Vorfeld informiert.

In einer Pressemitteilung der Duisburger Polizei hieß es nach der Razzia, mehrere Hundert Beamte hätten »ab 21 Uhr schlagartig vor zahlreichen Lokalen, Teestuben, Wettbüros und Shisha-Bars im gesamten Stadtgebiet« gestanden. Die Erfolge, die die Polizei präsentieren konnte, waren allerdings bescheiden. So wurden insgesamt gerade mal 25 Kilogramm unverzollten Shisha-Tabaks, einige Spielautomaten, Bargeld ungeklärter Herkunft und kleinere Mengen Marihuana sichergestellt. Außerdem registrierten Vertreter der Ordnungsämter Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung.

Jules El-Khatib, stellvertretender Landessprecher der NRW-Linken, weist darauf hin, dass an den meisten Orten weder Straftaten noch Ordnungswidrigkeiten festgestellt wurden. Der Politiker konstatierte, dass »im Rahmen der von Minister Reul so genannten ›Politik der 1000 Nadelstiche‹ immer wieder Cafés und Bars von libanesischen Besitzern« Ziel von Razzien sind. Er fordert, die Polizei solle sich auf Fälle konzentrieren, in denen es einen konkreten Verdacht gebe und nicht pauschal Lokale kontrollieren, deren »Besitzer Namen haben, die ins Bild passen«. Damit werde ein Generalverdacht erzeugt. »Dass Innenminister Reul und weitere Politiker zu jenen Orten fuhren, an denen etwas gefunden worden war, um sich dort für ihre Law-and-Order-Politik feiern zu lassen, zeigt: Es geht mehr um Wahlkampf als um Kriminalitätsbekämpfung«, moniert El-Khatib. Sie stigmatisierten damit alle Migranten arabischer Herkunft. Es brauche aber »kein Gerede von Clans oder mediale Showauftritte, sondern eine Integrationspolitik, die Chancen schafft«.

Dass er mit seinem Vorgehen Vorurteile bedient, ist Innenminister Reul bewusst. Zwei Tage nach den Großkontrollen stellte er das den zweite sogenannte Lagebild zur »Clankriminalität« vor. Und erklärte dabei: »Ich bin mir bewusst, dass die Gefahr besteht, ausländerfeindliche Ressentiments zu bedienen und ganze Familien in Sippenhaft zu nehmen.« Das sei zwar ein Problem, doch die Chancen seien »größer als die Risiken«. Aus Reuls Sicht spielen »Clans« in »einer Liga mit der Mafia«. Im Lagebild ist von 478 »Clankriminellen im Bereich der Organisierten Kriminalität« die Rede. Demgegenüber stehen allerdings nur 32 Haftbefehle.

Wie schnell Menschen zu »Clanangehörigen« erklärt werden können, wird schon in der Einleitung des Papiers deutlich. Demnach reicht es, dass ein Verdächtiger »auf Grund seines Familiennamens Bezüge zu türkischarabischen Clanstrukturen aufweisen könnte«. So kommt das Lagebild auf insgesamt 6104 »Clanstraftaten«. 13 Prozent davon sind übrigens Verkehrsdelikte. Von den mehr als 3800 Verdächtigen werden 70 Prozent nur einer Straftat verdächtigt. Lediglich rund 200 Personen werden für das vergangene Jahr fünf oder mehr Delikte vorgeworfen.

Jules El-Khatib findet es problematisch, dass im Lagebild nicht einmal erklärt wird, »was ein Clan sein soll«. Dass die Zahl der Straftaten gegenüber dem »Lagebild« von 2019 deutlich angestiegen ist, erklärt er damit, dass neue Familiennamen mitgezählt und jetzt auch Verkehrsdelikte aufgeführt werden. Das Lagebild zeige, » dass Kriminalität im erhöhten Maßstab existiert«, so El-Khatib gegenüber »nd«. Dagegen müsse vorgegangen werden, allerdings nicht dadurch, dass »Menschen in Sippenhaft genommen« werden. El-Khatib fordert stattdessen einen »Fokus auf Intensivtäter«.

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