Sattes Rot im Speisewagen

Die Bahn hat nach 15 Jahren ihren Mitarbeiter*innen neue Uniformen spendiert.

  • Adrian Schulz
  • Lesedauer: 2 Min.

Über Verspätungen freut sich der nachmetaphysische Mensch. Verspätungen eröffnen einen Raum, in dem Unerwartetes möglich wird; ein Zeitintervall, innerhalb dessen die erwartete Sache sich schon wieder so doll verändert hat, dass man gar nicht sicher sein kann, sie überhaupt zu erkennen. Die wichtigsten Dinge im Leben treten meist erst mit Verspätung ein, dann, wenn man schon fast nicht mehr an sie glaubt: Liebe, Glück, Geld oder die Antwort auf dieses eine Rätsel mit den zwei Schwestern.

Manchmal aber fühlt sich selbst der frustimmune Bahnkunde irgendwie - vergessen. In der sehr guten Sitcom »Unbreakable Kimmy Schmidt« gibt es eine Szene, in der die Figur Lillian erzählt, wie sie sich eine Wohnung in der Nähe der Second Avenue Subway gesucht habe, deren Bau seit 1916 versprochen worden sei. »So I figured, by the 70s, it was due any minute...« Ein erster Abschnitt der Strecke wurde 2017 eröffnet.

So weit, so bekannt. Weil neue Gleise verspätet eröffnet oder, nach tausenden Fehlplanungen, gar nicht gebaut werden, haben die Züge in der Zwischenzeit Verspätungen, als gäbe es kein Heute. Was aber will uns die Deutsche Bahn angesichts dessen nun mit den neuen Uniformen in der Trendfarbe Depressionsrot mitteilen, die sich seit letztem Monat in Umlauf befinden? Im offiziellen Firmensprech heißt die Farbe natürlich anders, »Burgundy« nämlich, was sich liest wie so grandios danebengegangenes Agenturgeplapper, dass es schon wieder super ist. Der Endbuchstabe Y erinnert an die elegante Lösung, die der Autor, Moderator und Katholik Hermes Phettberg für das Problem der Sprachgerechtigkeit parat hat, nämlich an jedes Wort eben ein Ypsilon anzufügen (»Wieny«, »Helfy«, »Gotty«).

Sitzt man also in der mittlerweile wieder recht vollen Bahn, hört einer strengen Frau beim halbstündigen Brezelverzehr zu, für den sie den gesamten Wagen mit ihren Schlabbergeräuschen in Beschlag nimmt, natürlich ohne Maske. Und, huch, hat man ein burgundyfarbenes Kontrollwesen vor sich, das auch nicht recht weiß, wo nochmal Geradeaus war. »Burgundy«, denkt man sich. Haben wir nicht schon Generation Z? War ihnen »Burgundz« zu mundfüllend in der Aussprache? Und hängen sie nicht an ihre neuen Züge am liebsten ein X: IC x, EC x? Klang ihnen »Burgunx« zu sehr nach Genderforschung? Aber wäre nicht gerade das zukunftsweisend?

Stattdessen geht es mit Tempo Ruckeldidumm in die Vergangenheit. Bald gibt es Lavalampen und Spiegeleier am Platz, aber nur für Männer mit Hut. Ist das noch Ironie oder sind wir schon da?

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