nd-aktuell.de / 10.09.2020 / Kommentare / Seite 8

Bitte mehr Empathie für Europäische Kulturpolitik!

Europaweit leiden Kulturschaffende unter der Coronakrise. Für die deutsche EU-Präsidentschaft ist das offenbar kein Thema.

Martina Michels

Eine Sitzung des Kulturausschusses beendete den kurzen Sommer des Europaparlaments. Dort standen für mich letzte Woche die Vorhaben der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf dem Programm. Monika Grütters, deutsche Staatsministerin für Kultur, und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik, waren digital zu Gast. Das Grundrauschen dieser Aussprache hatte eine seltsame Note. Die Vertreter*innen der Bundesregierung sprachen über die Ratspräsidentschaft, als würde diese erst in einem Jahr stattfinden. Doch die Ratspräsidentschaft läuft seit 1. Juli. Statt fast schon eine Halbzeitbilanz zu ziehen, dominierte: »Wir wollen ...«, »Wir werden ...« und »Wegen Corona mussten wir beim Rahmenprogramm die Notbremse ziehen«. Und ja, beide Politikerinnen flochten die obligatorischen Worte ein, die man gerade überall über die Kulturbranchen hört: »Sie sind hart und besonders lang durch die Covid-19-Pandemie betroffen.« Kulturproduzent*innen erwirtschaften vier Prozent des Europäischen Bruttoinlandsprodukts und haben 7,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Leider sind sie oft prekär beschäftigt und wenig sozial abgesichert.

Politische Überlegungen, wie die Branche stabilisiert werden soll, vermisste ich bei Grütters in Gänze. Einzig die gleiche Schallplatte, die wir schon von EU-Kommissarin Gabriel kannten, wurde aufgelegt: Auch Kulturproduzent*innen müssen etwas von den Europäischen Wiederaufbauhilfen bekommen. Verbindlich ist das am Ende genauso wenig wie die vagen Zusagen, dass die Etats des Europäischen Kulturprogramm Kreatives Europa, in dem vor allem viel Medienförderung steckt, einen Aufwuchs benötigen. Die Europäische Kommission hat den Vorschlag von 2018 für die Kultur- und Bildungsbudgets von 2021 - 2027 im Mai 2020 wieder gekürzt. Doch weder der Kampf um das angemessene Geld noch passgenaue Corona-Hilfen mit Garantiesiegel stehen im kulturpolitischen Mittelpunkt der Deutschen Ratspräsidentschaft. Stattdessen geht es um »faire Chancen für Frauen« und die »Förderung des Medienpluralismus«. Das unterschreiben wir, wo immer wir sind. Nur ist Politik am Ende konkret. Deshalb gehören politische Vorschläge für eine Absicherung Soloselbständiger und die Sicherung eines Unternehmer-Ersatzlohnes, gemessen an den Verdiensten aus 2019, sofort auf den Tisch.

Die soziale Lage der Kulturproduzent*innen macht eher wütend, weil die Corona-Hilfen zumeist als Sachförderungen konstruiert sind; abgesehen von einer gelockerten Grundsicherung wie in Deutschland, die jedoch zuerst Lebenspartner*innen und Rentenersparnisse anpumpt. Eine Milliarde Euro für die kulturelle Infrastruktur hierzulande, das hört sich - auch im europäischen Maßstab - gut an und ist immer nötig. »Nur kann man kein Restaurant erhalten, wenn in der Küche keiner mehr kocht«, wie ein Kinoproduzent in einer Anhörung im Juli die Situation in der Filmbranche umschrieb.

Die Abgeordneten bekamen den Eindruck, dass sie mit der Deutschen Ratspräsidentschaft nur schwer gemeinsam an einem Strang ziehen können. Deshalb fand am Ende sogar die Ausschussvorsitzende Sabine Verheyen, eine Parteikollegin von Monika Grütters, klare Worte. Sie erwarte mehr Partnerschaft, wenn demnächst die Budgets für die kommenden sieben Jahre ausgehandelt werden. Meine Fraktion bringt in die Septembersitzung im Europaparlament eine Resolution ein, die dem Kulturbereich unter Covid-19 konkrete Unterstützung verordnet. Ich bin stolz, dass darin die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, »umgehend auch den ausgefallenen Lohn und Honorare von Kulturproduzent*innen oberhalb einer sozialen Grundsicherung« in nationale Hilfsfonds zu integrieren. Diese sollten sich an dem versteuerten Einkommen aus dem Jahr vor Covid-19 orientieren. So würden vergleichbare Hilfesysteme für Selbständige wie für abhängig Beschäftige geschaffen.

Parlamentarische Appelle alleine reichen nicht, doch der außerparlamentarische Druck ist längst hellwach. Statt warmer Worte, dass Kultur unsere Empathie vergrößert, brauchen wir eine Politik, die Kulturproduzent*innen im Alltag das Überleben sichert.