»Wohnen minus Freiheit«

Glückstadt beherbergt künftig Abschiebeknast für drei Bundesländer

  • Dieter Hanisch, Glückstadt
  • Lesedauer: 3 Min.

Corona hat die Baumaßnahmen für die Abschiebehaftanstalt in Glückstadt (Kreis Steinburg) nicht vom Kurs abgebracht. Die gemeinschaftliche Einrichtung für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern soll Anfang nächsten Jahres den offiziellen Betrieb starten. Wann die ersten der maximal vorgesehenen 60 Haftplätze belegt werden, steht noch nicht fest.

Der Abschiebeknast am Rand der Kleinstadt an der Elbe zieht in die ehemalige Marinekaserne. Die ursprünglich spartanische Militäreinrichtung wird seit Monaten dafür umgerüstet und mit einer fünf Meter hohen Mauer im Stile eines Hochsicherheitsbaus umzogen. Ab 1936 wurde dort die Kriegsmarine beherbergt, ab 1951 der Bundesgrenzschutz. Von 1956 bis 2004 war das Areal in der Obhut der Bundesmarine.

Nach Bekanntwerden der Pläne herrschte in Glückstadt große Unsicherheit in der Bevölkerung. Auf einer Informationsveranstaltung in der vollen Innenstadtkirche im März 2018 musste der damalige schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) die Gemüter beruhigen. Aus seinem Ministerium stammte die den Sachverhalt verharmlosende Umschreibung eines Zustands vom »Wohnen minus Freiheit«. Mittlerweile ist die Unruhe mangelndem Interesse gewichen. Anfängliche Kritiker des Abschiebegefängnisses aus der kirchlichen Arbeit sind nahezu verstummt oder milde gestimmt, fordern nicht mehr, sondern sind zum Bittsteller geworden. Im jüngst gefassten Beschluss der Synode des für Glückstadt zuständigen Kirchenkreises Rantzau-Münsterdorf bittet man das Land um eine »seelsorgerische Implementierung« in der Anstalt und um Räume für Andacht und Gebet. Dazu wünscht man sich die Zulassung ehrenamtlichen Engagements in der Einrichtung. Ferner bittet man um eine psychotherapeutische und medizinische Versorgung von Inhaftierten und die Nichtinhaftnahme von körperlich und/oder psychisch Erkrankten.

Noch vor der ersten Belegung will das Innenministerium mit einem Tag der offenen Tür für Akzeptanz werben. Protest gegen das Vorhaben kommt von der Kampagne »Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo«. Deren Mitstreiter hatten am Dienstagabend Frank Gockel vom Verein »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren« zu einer Informationsveranstaltung geladen. Sie beklagten zu deren Beginn, dass alle Anfragen für einen Raum zunächst erfolglos geblieben waren, bis ein Glückstädter Sportverein doch noch zusagte. Gockel blickte auf die Anfänge von Abschiebehaft vor 101 Jahren zurück. Aus langer Erfahrung in der Betreuung von Abschiebehäftlingen das komplexe juristische Prozedere, berichtete von Rechtsansprüchen und erstaunlich vielen Rechtsbrüchen zulasten der Betroffenen sowie vom Alltag hinter Anstaltsmauern. Mit Blick auf die Einrichtung in Glückstadt wies er auf die Bedeutung von Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit hin und warb für eine kritische Begleitung der künftigen Einrichtung. Ob Anstaltsbeirat, Flüchtlingsinitiativen oder andere Hilfsorganisationen: Sie alle hätten die Rolle eines »Wächters und Korrektivs«, so Gockel.

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