nd-aktuell.de / 25.09.2020 / Politik / Seite 15

Gewerkschaftsrabatz in Kiel

Streikaufrufe im öffentlichen Dienst erhöhen Druck auf die nächste Tarifrunde

Dieter Hanisch, Kiel

Die dreiköpfige Mini-Marchingband »Super-RabatzKi« mit ihrer lautstarken Trommelshow und ein beinahe nicht enden wollender Menschenwurm dahinter, das ist am Donnerstag das Bild der Kieler Innenstadt. Unübersehbar und vor allem unüberhörbar ist der Gewerkschaftsprotest im Zuge der Warnstreiks in der Tarifauseinandersetzung der Bediensteten bei Bund und Kommunen.

Auf der Straße vor dem DGB-Haus ist vor dem Demonstrationsbeginn alles noch ein wuseliger Haufen. Als Manuel Gellenthin, Verdi-Geschäftsführer für den Bezirk Kiel/Plön, mit dem Megafon das Zeichen zum Aufbruch Richtung Rathausplatz gibt, versammeln sich alle einzeln hintereinander - ein überlanger Wurm mit dem nötigen Corona-Hygiene-Abstand entsteht. Vorneweg die »Super-RabatzKi«, Gellenthin selbst ist ab hier mit einem E-Leih-Scooter unterwegs und bei strahlendem Sonnenschein bester Dinge, sind doch über 700 Teilnehmer*innen dem Streikaufruf der Gewerkschaft gefolgt. Dabei sind auch viele Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die in den städtischen Kitas arbeiten.

Solange das Musiktrio im wahrsten Sinne des Wortes Rabatz macht, wird die Bevölkerung auch in weiter Entfernung auf die Bandwurm-Demo aufmerksam. »Ich habe vollstes Verständnis für die Aktion«, sagt etwa der 67-jährige Joachim Schnell, früher selbst Verdi-Mitglied, als Rentner aber aus der Gewerkschaft ausgetreten. »Nur Beifall für die Beschäftigten reicht nicht aus«, so der zufällige Zaungast. Wenn die Band sich aber ein Päuschen gönnt, ist es im Vergleich zu anderen Demonstrationen dieser Größenordnung schnell recht still. Zwar sind ein paar Rasseln und wenige Tröten und Trillerpfeifen zu hören, aber keine Parolen werden gerufen, keine Flugblätter werden verteilt - es herrscht einfach nur Abstand.

Vor dem Zielpunkt Rathausmarkt wird das alte Rathaus neben der Oper vom Demonstrationswurm noch umzingelt. Gellenthin hat sich unterdessen entschieden, statt langatmiger Funktionärsansprachen lieber einige Streikteilnehmer*innen live zu interviewen, um die Vielfältigkeit und Breite der Berufsfelder unter städtischer Verantwortung zu dokumentieren.

In allen Beiträgen kommt immer wieder ein Thema zur Sprache: Die städtischen Bediensteten haben wegen Covid-19 unter erschwerten Bedingungen ihre Aufgaben erledigt, und zwar in der Regel ohne zu lamentieren. Da ist beispielsweise Christian Altfeld, Notfallsanitäter. »Vom optimalen Stellenplan fehlen derzeit 15 Stellen, und dann noch Corona... Das bedeutet für uns ständige Überstunden und Urlaubsverzicht«, beschreibt Gellenthins Gesprächspartner seinen Arbeitsalltag und beklagt sich bitter über fehlende Wertschätzung.

Auch Hilke Babbe zeigt buchstäblich Flagge, lauscht den Erzählungen und Forderungen, während sie eine Verdi-Fahne schwingt. Die 52-Jährige ist Personalrätin für alle 38 städtischen Kitas und gehört in ihrer Gewerkschaft zur Bundesfachgruppe. Sie schildert, dass die Themen Personalschlüssel und speziell Krankheitsvertretung eine kontinuierliche Baustelle geworden sind. »Die Arbeitsbedingungen diesbezüglich müssen einfach besser werden; das wird durch ein attraktives Berufsbild erreicht, und um dafür zu werben, gehört auch eine vernünftigere Bezahlung dazu«, spielt sie auf eine der aktuellen Verdi-Forderungen nach 4,8 Prozent höheren Lohn an.

Ines Zielke hat eine signalgelbe Streikweste übergestreift. Die 54-Jährige ist Schulassistentin und hat durch Corona plötzlich auch einen längeren Arbeitstag. Sie ist gleich für zwei Schulen zuständig - eine in Schilksee, eine in Suchsdorf. Dazwischen liegen 13 Kilometer und damit ständiger Fahrstress. Noch stressiger ist aus ihrer Sicht aber: »Jede der beiden Schulen hat ein anderes Hygienekonzept«, das sie helfen soll, so passgenau wie nur irgend möglich umzusetzen.

Nach knapp eineinhalb Stunden gibt Gellenthin allen Zuhörenden noch mit auf den Weg, dass die Gewerkschaft auch trotz Corona jederzeit ihre Entschlossenheit zeigen kann. Vor der nächsten und dritten Verhandlungsrunde der Tarifkommission am 22. und 23. Oktober in Potsdam werde man sich sicher noch bemerkbar machen, »wenn nötig auch auf einem Platz, der noch größer ist als dieser«, so der Gewerkschafter. Dazu muss man wissen: Der Rathausplatz ist einer der großflächigsten Orte in der Landeshauptstadt.

Für Freitag sind weitere Warnstreiks geplant, unter anderem in Hamburg und Berlin.