nd-aktuell.de / 29.09.2020 / Kommentare / Seite 13

Die haben wenigstens Humor

BEST OF MENSCHHEIT, Teil 39: »Charlie Hebdo«

Tim Wolff

Kolumnen in ihrer egomanen Konstruktion bieten die Möglichkeit, Persönliches zu erzählen, womöglich eigene Fehler zu korrigieren, selbst wenn sie wie diese sich arrogant menschheitshistorisch geben. Daran will ich mich heute mal versuchen.

Zu den Errungenschaften der Sapienskultur gehört ganz gewiss die Komik. Aus dem zum Teil niederträchtigen und gewaltvollen natürlichen Bedürfnis des Menschen zu lachen hat so ziemlich jede Kultur eine virtuelle Triebabfuhr gemacht, die nicht selten das Leben angenehmer werden lässt. Auch die Spezialform der Satire will mir nicht wirklich unangenehm werden. Heiter bis grimmig das Offensichtliche sagen und zwischendurch mal eine Erkenntnis reinschmuggeln, das ist Satire im besten Falle. Meistens ist sie aber leider nur Methode, sich fürs gute Gefühl übers offensichtlich Schlechte zu erheben - was sie dann aber auch nur mit dem größten Teil des Ernstmachens gleichsetzt.

Aber da ist er schon, mein Fehler: das Theoretisieren über Komik und Satire. Statt einfach welche zu produzieren oder den Mund zu halten. Dieser Fehler hat neben dem professionellen Interesse, das wie in jeder Profession intern weit wichtiger ist als extern, einen traurigen Grund: den Anschlag auf »Charlie Hebdo« 2015.

Ich war gerade einmal anderthalb Jahre Chefredakteur der Titanic, als in Paris Berufskollegen erschossen wurden. Eigentlich wollte ich wie alle meine Chefredakteursvorgänger in der Rolle des uneigentlichen Sprechers bleiben, aber Witze mit ermordeten Witzemachern zu machen, wenn man öffentlich selbst als potenzielles Ziel behandelt wird, lässt einen sich schnell in Metaebenen versteigen. Also ließ ich mich zum Satireerklärbär machen, in der dummen Hoffnung, selbst eine so offensichtlich oberflächliche Solidarität wie die mit den in Paris Ermordeten ließe sich zur Humorerziehung in einer weitgehend humorfreien Kultur wie der deutschen nutzen. Aber nicht nur funktioniert so etwas nicht, es wird auch dem Wesen des Anschlags nicht gerecht.

Auch nur indirekt Komik und Satire aus diesem Anlass zu verhandeln, lässt Raum für die Frage, ob die Art des Scherzens von »Charlie Hebdo« Anlass des Attentats war. Es ist aber obszön, diese Verbindung herzustellen. Es ist schaurig, so etwas aufzuschreiben: Aber es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass niemand noch für die schlechtesten Scherze um die eigene körperliche Versehrtheit fürchten muss. Und auch die glühendsten Anhänger von Propheten haben gefälligst Witze zu ignorieren, die ihnen missfallen.

Ermordet wurde die »Charlie Hebdo«-Redaktion, weil sie ins Visier eines sich unter anderem aus dem Koran speisenden antisemitischen Wahns geraten war, der zwischen eigentlichem und uneigentlichem Sprechen noch schlechter unterscheidet als der durchschnittliche deutsche Journalismus und sein Publikum. Statt über den Mangel an Humor von Terroristen und dessen Anschluss an die diversen Lebenslügen der Mehrheitsgesellschaft zu referieren, hätte ich mein bisschen Öffentlichkeit besser auf diesen Aspekt verwendet, denn Komikunkenntnis und -abwehr mag zwar ein weit verbreitetes Phänomen sein, aber es ist eben auch ein Teil des antisemitischen Denkens.

Nur so ist es schlüssig, dass dieses wesentlich als Anschlag auf Satire und Meinungsfreiheit verhandelte Verbrechen auch Morde in einem jüdischen Supermarkt beinhaltete - deren Opfer im Gedenken gern vergessen werden. Auch weil statt der Frage »Warum morden Terroristen?« immer wieder die ermüdende »Was darf Satire?« gestellt wurde, und unter anderem ich antwortete.

Ich hätte mich also besser an Witze wie den gehalten, der in der Titanic-Ausgabe nach dem Anschlag »Startcartoon« war: »Mohammed konvertiert zum Judentum! ›Die haben wenigstens Humor …‹« - und sonst den Mund gehalten.