nd-aktuell.de / 01.10.2020 / Politik / Seite 2

Immer Streit mit den Nachbarn

Beim EU-Sondergipfel werden die Staats- und Regierungschefs auch über ihre Beziehungen zu Russland und der Türkei beraten

Aert van Riel

Emmanuel Macron präsentiert sich in diesen Tagen einmal mehr als der große Diplomat. Vor dem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs, das am Donnerstag in Brüssel beginnt, bereiste der französische Präsident das Baltikum. Die dortigen Staaten drängen auf härtere Sanktionen gegen Belarus. Sie werfen Präsident Alexander Lukaschenko vor, die Wahlen gefälscht zu haben. Zudem waren seine Sicherheitskräfte brachial gegen friedliche Demonstranten vorgegangen. Die Regierungen der Baltenstaaten haben auch ein schlechtes Verhältnis zu Russland, dessen Präsident Wladimir Putin seine Unterstützung für die Regierung in Minsk auch mit Finanzhilfen untermauert hat.

Die Spitzenpolitiker der EU werden nun unter anderem darüber diskutieren, wie sie künftig mit Russland und Belarus umgehen sollen. Macron erklärte bei seiner Visite in der lettischen Hauptstadt Riga am Mittwoch, dass »der Kurs eines strategischen Dialogs« mit Moskau fortgesetzt werden solle. Nach einem Treffen mit dem lettischen Ministerpräsidenten Krisjanis Karins warb der französische Staatschef erneut für eine Annäherung der EU an Russland. »Wir können nicht an einem Punkt ankommen, an dem wir einfach nicht miteinander reden«, sagte er. Es sei notwendig, eine Architektur der Sicherheit, der erneuten Zusammenarbeit und des Vertrauens zu schaffen. Macron betonte, dass dieser Dialog die Sicherheit Lettlands und der anderen baltischen Staaten nicht gefährden werde. Ihm schwebt offenbar eine europäische Initiative anstelle des Nato-Russland-Rats vor. Macron hatte das transatlantische Militärbündnis im vergangenen Jahr als »hirntot« bezeichnet.

In Belarus verfolgen Frankreich und andere westliche Staaten eine Strategie des unblutigen Machtwechsels. Am Dienstag traf sich Macron in Litauen mit der belarussischen Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja und bot ihr Unterstützung an. »Unser Ziel wäre es, in den kommenden Wochen eine Vermittlung durchzuführen«, sagte Macron im Anschluss an das Treffen bei einer Diskussion in der Universität Vilnius. Dazu wolle er gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Charles Michel die Führung in Minsk dazu auffordern, einer Vermittlung durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zuzustimmen. Ergänzt werden solle dies durch Bemühungen, einen Dialog mit Russland zu entwickeln und mit Wladimir Putin zu sprechen.

Kremlsprecher Dmitri Peskow meinte, dass Russland das Treffen als ein gewöhnliches Gespräch einer belarussischen Bürgerin mit Macron ansehe. »Allem Anschein nach unterstützt der Präsident Frankreichs diese Bürgerin von Belarus, so sehen wir das«, sagte er nach Angaben der Agentur Interfax. Es wird erwartet, dass Tichanowskaja Anfang nächster Woche nach Deutschland kommt.

Bisher hat Zypern die Verhängung von Sanktionen der Europäischen Union wegen der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Belarus blockiert. Die Regierung in Nikosia macht ihre Zustimmung davon abhängig, dass auch weitere Sanktionen gegen die Türkei wegen der Erdgas-Bohrungen im östlichen Mittelmeer verhängt werden. Auch darüber werden die Staats- und Regierungschefs der EU beraten.

Die Regierung in Ankara wies am Mittwoch einmal mehr alle Vorwürfe zurück. Präsident Recep Tayyip Erdoğan warf stattdessen Griechenland vor, Schuld an dem Erdgasstreit zu sein. Er hoffe, dass die Europäische Union die »maximalistischen Thesen Griechenlands und der griechischen Führung Südzyperns nicht bedingungslos und zu Unrecht unterstützt«, teilte der türkische Staatschef in einem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs mit. Er hoffe, dass die Europäische Union »von ihrer voreingenommenen Haltung gegenüber dem Beitrittskandidaten Türkei« absehe. Griechenland wirft dem Nato-Partner Türkei hingegen vor, vor griechischen Inseln illegal Erdgasvorkommen zu erkunden.

Auch Frankreich hatte sich zuletzt hart gegenüber der Türkei geäußert, weil sie in der Region, wo auch Paris wirtschaftliche und strategische Interessen verfolgt, gewaltsam ihren Machtbereich ausbauen will. So mischt die Türkei etwa in den Kriegen in Syrien und Libyen mit. Beim nun wieder aufgeflammten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach hat die dortige Regionalregierung schwere Vorwürfe erhoben. Die türkische Armee habe Waffen, Soldaten und Söldner zur Unterstützung von Aserbaidschan in die Region entsandt. Armenien wird hingegen von Russland unterstützt.