Einheit und Markt und Freiheit

Stephan Kaufmann über den kurzen Triumph des Kapitalismus

Mit dem Ende des Realsozialismus vor 30 Jahren erledigte sich die Systemalternative, und der Kapitalismus triumphierte, er galt als die stärkere, ja letztlich einzig mögliche Wirtschaftsform. Die Kapitulation der UdSSR beschleunigte einen Prozess, der in den angelsächsischen Ländern bereits in den achtziger Jahren eingesetzt hatte und der später unter Titeln wie »Neoliberalismus« oder »Globalisierung« firmierte: Die Befreiung der Unternehmen von gesetzlichen und nationalen Schranken. Privatisierung, Deregulierung, Liberalisierung und schlanker Staat waren die Stichworte.

30 Jahre später spielt die Ideologie des freien Marktes keine große Rolle mehr. Abgeräumt wurde der Neoliberalismus nicht von seinen linken Gegnern, sondern von Finanz-, Überproduktions- und Coronakrise, also von praktischen Notwendigkeiten der Politik. Heute müssen die Staaten über ihre Verschuldung dafür sorgen, dass überhaupt so etwas wie ein kohärenter Kapitalkreislauf existiert und keine allgemeine Zahlungskrise eintritt. Die Politik betreibt Investitionslenkung und versucht mit Milliarden, die Entstehung neuer Wachstumsfelder - Digitalisierung, E-Autos, Computerclouds, Nachhaltigkeit - vorzufinanzieren, weil der Markt dazu nicht in der Lage ist. Statt Globalisierung schränken Regierungen den Weltmarkt über Sanktionen, Zölle, Handelsschranken ein, um ihre Macht gegen die Konkurrenten zu behaupten und nutzen dabei ihre Unternehmen als Waffen im so genannten »Handelskrieg«.

In Zeiten der Globalisierung hieß es, die Nationalstaaten seien machtlos gegen das transnationale Kapital. Das hat schon damals nicht gestimmt, die Befreiung der Märkte war nie Sachzwang, sondern Ergebnis der Politik, zumindest der großen Wirtschaftsmächte. Heute merkt jedes global agierende Unternehmen, dass es auf einen politischen Schutzpatron angewiesen ist. Denn das Geld eines Konzerns ist nur so viel wert, wie ihm seine Regierung an globaler Investitionsfreiheit schaffen kann.

Statt auf freie Märkte schwenken die USA und die EU derzeit auf chinesischen Kurs ein: Sie schützen ihre Unternehmen nach außen, sie subventionieren alte und neue Geschäftsfelder. Die verschärfte Standortkonkurrenz mündet in einen »neuen kalten Krieg«, vor allem zwischen den USA und China. Vor 30 Jahren wurde noch an ein neues Zeitalter des Friedens geglaubt, weil der Systemgegensatz beerdigt worden war. Heute wird klar: Für kalte und heiße Kriege braucht es keinen Systemgegensatz. Es reicht völlig die Konkurrenz der Weltwirtschaftsmächte um Macht, Einfluss und Märkte.

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