nd-aktuell.de / 07.10.2020 / Ratgeber / Seite 23

Immer mehr Menschen sind »ohne«

Krankenversicherung in Corona-Zeiten

Hermannus Pfeiffer

Corona bescherte Krankenversicherungen Überschüsse. Die 105 Krankenkassen in Deutschland haben im ersten Halbjahr (2020) bei Einnahmen in Höhe von 129,9 Milliarden Euro einen Überschuss von rund 1,3 Milliarden Euro erzielt. Im ersten Quartal wiesen sie noch ein Defizit von 1,3 Milliarden Euro aus.

Weil Patienten in der ersten Jahreshälfte weniger zum Arzt und ins Krankenhaus gingen, sanken die Ausgaben der Krankenkassen vor allem in den Monaten April bis Juni, erläuterte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Das sei aber nur eine Momentaufnahme.

Bedenklicher ist eine andere Momentaufnahme: Die Zahl der Menschen ohne eine Krankenversicherung ist auf rund 143 000 Personen gestiegen. Ein Vorgang wie in den USA? Nein, denn in Deutschland gilt seit Januar 2009 eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Seither müssen sich alle Bundesbürger krankenversichern.

Mehrheit der Nichtversicherten ist männlich

Dennoch waren im Jahr 2011 rund 128 000 Personen ohne Krankenversicherung. Die Zahlen basieren auf Werten des im Mikrozensus erhobenen Zusatzprogramms »Angaben zur Krankenversicherung«. »Allerdings wird dieser Part der größten Haushaltsbefragung in Deutschland und Europa nur alle vier Jahre abgefragt«, kritisiert das Fachblatt »Versicherungsbote«.

In der Auswertung aus dem Jahr 2015 sank die Zahl der Personen ohne Krankenversicherung auf 79 000. In der Auswertung von 2019 waren es dann wieder deutlich mehr ohne Krankenversicherungsschutz. So verdoppelte sich die Zahl fast auf 143 000. Davon kommen 117 000 aus den alten und 26 000 aus den neuen Bundesländern.

Die Mehrheit der Nichtversicherten ist männlich. Das geht aus Zahlen des Mikrozensus zur Krankenversicherung hervor, die das statistische Bundesamt (Destatis) Ende Juli veröffentlicht hat (siehe Sozialleistungen - Angaben zur Krankenversicherung, Fachserie 13 Reihe 1.1 - Link:

www.destatis.de/[1] DE/Themen/Gesellschaft-

Umwelt/Gesundheit/Gesund heitszustand-Relevantes-Verhal ten/Publikationen/Downloads-Gesundheitszustand/kranken

versicherung-mikrozensus-2130110199004.html).

Durch Corona dürfte die Zahl der Nichtversicherten noch weiter ansteigen.

Privat versichert und zahlungsunfähig

Experten nehmen an, dass ein Großteil der Nichtversicherten ehemals privat Versicherte sind, die schlicht ihre Rechnung nicht mehr bezahlen konnten. Dazu können Arbeitslosigkeit oder andere Unbilden des Lebens beigetragen haben.

Aber auch das System der Privaten Krankenversicherung (PKV) selbst trägt eine Mitschuld. Wird beispielsweise das erste Kind geboren, wird es teuer. Und auch mit zunehmendem Alter steigen die Monatsbeiträge bei vielen gewinnorientierten Versicherern an. Ganz aussteigen ist aber keine gute Alternative. Der Wechsel in eine öffentliche Krankenkasse ist in den meisten Fällen unmöglich. Was bleibt, ist der Wechsel in einen sogenannten Notlagentarif.

Der »Notlagentarif« wurde in der PKV erst 2013 eingeführt. Damit reagierte sie auf zunehmende Zahlen von Hartz-IV-Empfängern und ehemaligen Selbstständigen, die infolge der Finanzkrise (2007 bis 2009) erwerbslos geworden und nun auf staatliche Hilfen angewiesen waren.

Die hohen PKV-Beiträge waren jahrelang von den Kommunen beglichen worden. Daher tauchten die Betroffenen nicht in der Statistik der Nichtversicherten auf. Die Politik erhöhte dann irgendwann den Druck auf die PKV-Konzerne, ihr unsoziales System zu ändern.

Der Notlagentarif soll seither privat Krankenversicherten helfen, die ihre Beiträge nicht mehr bedienen können und mit Zahlungen im Verzug sind. Versicherte haben in diesem Tarif allerdings nur Anrecht auf eine Notfallversorgung, etwa bei akuten Schmerzen. Sie zahlen dafür einen verminderten Beitrag von rund 100 Euro im Monat. PKV-Kunden können den Notlagentarif in Anspruch nehmen, wenn sie mit Beitragszahlungen mindestens zwei Monate im Rückstand sind.

Die Zahl der Personen im Notlagentarif liegt seit 2013 ziemlich konstant bei rund 100 000. Die durchschnittliche Verweildauer in diesem Tarif liege etwa bei einem Jahr, hat der »Versicherungsbote« ermittelt.

Weitere Möglichkeiten für PKV-Versicherte

Es gibt weitere »Sozialtarife« für PKV-Versicherte. Über sie sind knapp 100 000 Menschen versichert. Sie bieten ein Versorgungsniveau, welches in etwa dem der Krankenkassen entspricht. Der sogenannte Standardtarif steht vor allem älteren Versicherten offen, die vor 2009 eine Police abgeschlossen haben und nun Probleme mit ihren Beitragszahlungen haben.

Ebenfalls angestiegen ist die Zahl der Versicherten im sogenannten Basistarif. Dieser ist im Regelfall teurer als der Standardtarif. Der Basistarif der privaten Krankenversicherung gilt unter Verbraucherschützern als reine Notlösung für Versicherte, denen ein interner Tarifwechsel finanziell nicht hilft - und die aber nicht zurück in eine gesetzliche Kasse können.

Links:

  1. http://www.destatis.de/