nd-aktuell.de / 13.10.2020 / Kultur / Seite 31

Sie wollten nicht nur Opfer sein

Henning Fischer erinnert an die Frauen von Ravensbrück

Peter Nowak

Ich habe daher eine Bitte. Gedenkt der Frauen nicht nur als Opfer. Gedenkt und würdigt auch ihren Mut, ihre Solidarität und ihren Lebenswillen.« Diesen Appell richtete Lisl Jäger während der Gedenkfeier zur Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück vor zehn Jahren an ihr Publikum. Die gebürtige Wienerin, die als Jungkommunistin nach dem »Anschluss« Österreichs an Nazideutschland im antifaschistischen Widerstand tätig war, hat selbst die Hölle des Frauenkonzentrationslagers durchlitten und war nach der Befreiung Mitglied der Leitung der Lagerarbeitsgemeinschaft in der DDR. Sie starb im vergangenen Jahr in Berlin.

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Henning Fischer (Hg.): Frauen im Widerstand. Deutsche politische Häftlinge im Frauen-KZ Ravensbrück.[1]
Metropol, 212 S., br., 22 €.

In einer Zeit, in der es immer weniger Überlebende faschistischen Terrors gibt, haben Historiker*innen eine noch größere Verantwortung, deren Geschichte zu bewahren und zu vermitteln. Sich dessen bewusst, hat Henning Fischer mit besonderer Akribie und Sorgfalt die neue Ausstellung in der Gedenkstätte Ravensbrück kuratiert. Erfüllt ist hier wie im gleichnamigen Begleitband die zitierte Bitte von Lisl Jäger. Fischer würdigt die Ravensbrückerinnen in all ihrer bewundernswerten Aufrichtigkeit und Stärke, aber auch in ihrer Widersprüchlichkeit. Er spart Konflikte nicht aus, zeigt die Frauen als Kämpferinnen für eine gerechte Gesellschaft, die sich nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern auch gegen männerdominierte Strukturen in eigenen politischen Zusammenhängen durchsetzen mussten. Fischer anerkennt, dass in der DDR die Geschichte des Widerstandes größere Aufmerksamkeit erfuhr als in der Bundesrepublik. Er verweist aber auf die Verengung des Gedenkens in der offiziellen Erinnerungspolitik der SED und kritisiert, dass einige Opfergruppen, so die im NS-Jargon »asozial« genannten Verfolgten, fast völlig ausgeblendet wurden.

Interessant sind die von Fischer skizzierten Dispute, die es nach der Befreiung vom Faschismus in der an sich einigen Gemeinschaft der Ravensbrückerinnen gab, etwa ob man vor Gericht einen KZ-Arzt entlasten dürfe, wenn man persönlich diesen eher als milde in Erinnerung habe. Zu Zerwürfnissen kam es beispielsweise auch im Zusammenhang mit dem Prager Frühling 1968. Die deutsche Ravensbrückerin Rita Sprengel, die übrigens ihre KZ-Erlebnisse bereits 1949 mit »Im Schatten der eisernen Ferse« veröffentlicht hatte, begrüßte in einem Brief an eine Freundin die sozialistische Erneuerungsbewegung im Nachbarland, während bei anderen Befürchtungen überwogen. Rita Sprengel kritisierte auch frühzeitig autoritäre Entwicklungen in der DDR, weshalb sie einige Jahre aus der SED ausgeschlossen war. Nach 1989 bedauerte sie, nicht radikalere Kritik geübt zu haben.

Als ein Beispiel für den beschämenden Umgang mit den Ravensbrückerinnen in der Bundesrepublik wird hier die Düsseldorfer Ärztin Doris Maase vorgestellt, die in den 50er Jahren als Kommunistin erneut kriminalisiert wurde. Nach dem Verbot der KPD stellte sie sich als unabhängige Kandidatin zur Wahl für das Oberbürgermeisteramt, woraufhin man ihr willkürlich die Opferrente strich.

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