nd-aktuell.de / 12.10.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 7

Weiterhin kein Recht auf Schutz vor Armut

Der Bundestag stimmte nur für einen Teil der revidierten Europäischen Sozialcharta

Lisa Ecke

Am Donnerstagabend stimmte der Bundestag über den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Revision der Europäischen Sozialcharta ab. Mit den Stimmen der Fraktionen von Union, SPD, FDP und den Grünen wurde der Entwurf angenommen. Die AfD stimmte dagegen, während sich die Linkspartei enthielt.

Die Europäische Sozialcharta (ESC) ist ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen von Mitgliedern des Europarates, das dazu dienen soll, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Grundrechte zu gewährleisten. Schon 1965 ist die ESC in Kraft getreten. Sie beinhaltete insgesamt 19 soziale Rechte, beispielsweise das Recht auf Arbeit, auf soziale Sicherheit, das soziale Fürsorgerecht sowie das Recht auf besonderen gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie.

Seit 1996 gibt es auch eine revidierte ESC. Mit ihr haben die Mitglieder des Europarates auf die veränderten gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten reagiert. Die Rechte der Charta wurden aktualisiert und ergänzt. So wurden etwa Gleichbehandlungsrechte deutlich stärker formuliert, insgesamt wurden zwölf Rechte neu aufgenommen. Dazu zählt das Recht auf Arbeitslosenunterstützung, der Schutz vor sexueller Belästigung, der Schutz gegen Armut und vor sozialer Ausgrenzung sowie ein Recht auf Wohnen. Deutschland hatte diese revidierte ESC bisher nur unterzeichnet, nicht aber ratifiziert. Erst mit einer Ratifizierung ist die Bundesrepublik jedoch auch zur Umsetzung verpflichtet. Insgesamt haben von 47 Mitgliedern des Europarates 34 die revidierte Sozialcharta ratifiziert, inklusive Deutschland lediglich 13 nicht.

»Diese Verzögerung ist völlig inakzeptabler«, sagte Andrej Hunko von der Linksfraktion während der Abstimmung zur revidierten ESC am Donnerstag im Bundestag. Auch die im Entwurf der Bundesregierung formulierten 16 Ausnahmen der revidierten ESC lehne seine Fraktion ab. Ausgeschlossen wird etwa das Recht auf Wohnung, das Recht auf Beteiligung an den Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf Schutz vor Armut. »Es ist ja keine linksradikale Forderung, die Sozialcharta ohne Wenn und Aber (...) zu ratifizieren«, kommentierte Hunko.

Die Linke hatte zwei Anträge gestellt, in einem forderte sie, die Ausnahmen bei der Ratifizierung wegzulassen und in dem Anderen, außerdem noch ein Zusatzprotokoll zu ratifizieren. Dieses würde etwa Gewerkschaften ermöglichen, bei Verletzung von sozialen Rechten Beschwerden beim Ausschuss einzureichen. Doch die Anträge wurden von der Mehrheit des Bundestages abgelehnt. Lediglich die Grünen stimmten zu. Der Bundesratsausschuss hatte bereits im Mai in seiner Empfehlung zum Gesetzentwurf festgestellt, dass die Bundesregierung weder zu dem nicht ratifizierten ESC Artikel für das Recht auf Schutz vor Armut, noch zu dem Artikel für das Recht auf Wohnung eine »tatsächlich bestehende fehlende Kompatibilität zu nationalem Recht dargelegt« habe.