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Die alte Mär vom Mitgemeintsein

NETZWOCHE: Bei der gendergerechten Sprache gibt das Justizministerium klein bei

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Gesetzentwurf des Justizministeriums sorgte für Aufregung, da er überwiegend in weiblicher Form verfasst worden war. Nach einem Backlash aus dem Innenministerium und Internet wurde das Dokument nun sprachlich verändert.

Dass ausgerechnet ein Referentenentwurf zum Sanierungs- und Insolvenzrecht so hohe Wellen schlagen würde, hatte wohl niemand so wirklich kommen sehen. Grund der Aufregung waren vor allem darin enthaltene Wörter wie: Inhaberin, Insolvenzverwalterin, Gläubigerin. Damit ist seit Montag eine Debatte entbrannt, über das generische Maskulinum und Femininum, geschlechtergerechte Sprache und was das überhaupt genau ist, das Mitgemeintsein.

Der Entwurf stoß teils auf heftige Empörung, aber auch großes Lob. Kritik kam vor allem aus dem Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Dieser bestätigte gegenüber der BILD-Zeitung, Widerspruch gegen den Entwurf »in der übermittelten Form« eingelegt zu haben. Nach Ansicht des Innenministeriums müsse das Dokument den geltenden Regelungen angepasst werden, sprich: das generische Maskulinum verwenden. Denn Frauen würden im generischen Maskulinum mitgemeint sein, begründete ein Sprecher. In der Fassung des Entwurfes jedoch sei nicht erkennbar, ob männliche und weibliche Personen einbezogen werden. Und die Richtigkeit der Sprache müsse insbesondere bei Gesetzestexten, auch im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit, gewährleistet sein, hieß es.

Weitere Zweifel wurden ferner in der Bundespressekonferenz von einem Sprecher des Innenministeriums geäußert. Fraglich sei, ob der Entwurf überhaupt verfassungsgemäß sei. Die Formulierungen des Entwurfes würden suggerieren, dass das Gesetz möglicherweise nur für Frauen gelte. Das generische Femininum sei »zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt«. Menschen, die sich weder als Frauen noch Männer identifizieren, die also keine binären Geschlechtsidentität haben, wurden in die Debatte überhaupt nicht miteinbezogen.

Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch erklärte gegenüber dem »nd«, warum das generische Maskulinum problematisch ist. Es bringe alle Menschen, die nicht männlich sind, zum Verschwinden. Damit würde ihnen systematisch die Aufmerksamkeit entzogen werden und auf die Männer projiziert werden. »Dies ist schädlich«, so das Fazit der Wissenschaftlerin.

Auch in den sozialen Medien wird seit Montag heiß debattiert. Sowohl »Maskulinum« als auch »Femininum« trendeten stundenlang auf Twitter. Ein User fasste die Situation so zusammen: »Das Justizministerium schreibt einen Referentinnenentwurf eines Gesetzes im generischen Femininum und alle rasten aus.« Denn viele Männer beanstandeten, sich im generischen Femininum nicht mitgemeint zu fühlen. Dennoch können mit dem generischen Femininum verallgemeinernd sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sein. Beispielsweise ist das Wort »Leser« Teil von »Leserin«, beim generischen Maskulinum ist das so nicht sichtbar. Gerade auch männliche User hoben hervor, dass die Debatte vor allem aufzeige, wie schlecht Männer mit einem Perspektivwechsel zurechtkommen. Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, erklärte in einem Thread auf Twitter, warum der Begriff »mitgemeint« so bezeichnend für die Problematik ist: »Männer sind gemeint, Frauen eben nur mitgemeint. Es geht also nicht um «sprachwissenschaftliche» Anerkennung, sondern um gesellschaftliche.« Das generische Maskulinum impliziere, dass Frauen eine Art gedanklicher Nachtrag zu Männern seien, so Stefanowitsch. Viele Feminist*innen zeigten sich von dem Vorstoß begeistert, auch weil es mal »andersrum« ist. Männer wüssten nun, wie es sich anfühlt, mitgemeint zu sein.

Laut Luise Pusch, die sich seit mehr als drei Jahrzehnten für das generische Femininum einsetzt, ist die ganze »Aufregung der Männer Blödsinn«. Sie habe das Dokument des Justizministeriums studiert und komme zu dem Fazit, dass es nicht im generischen Femininum verfasst sei. Die Rede sei von juristischen Personen wie einer GmbH, von Firmen oder Kanzleien, die grammatisch nun mal weiblich sind. Tatsächlich sind in dem Referentenentwurf auch andere Beispiele zu finden, so ist etwa von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sowie Bürgerinnen und Bürger die Rede. Männer werden also nicht nur symbolisch mitgemeint.

Am Mittwoch veröffentlichte das Justizministerium dann die finale Version des Referentenentwurfes. Darin wurde sprachlich in vielen Fällen das generischen Femininum entfernt und durch die Paarform, also beispielsweise »Richterin und Richter«, ersetzt. In einigen Fällen wurde aber auch das generische Femininum »Schuldnerin« mit dem generischen Maskulinum »Schuldner« ausgetauscht. In der Pressemitteilung zum aktuellen Gesetzgebungsverfahren wurden die sprachlichen Änderung in der finalen Version des Referentenentwurfes oder eine Begründung zu dieser Notwendigkeit vom Justizministerium mit keinem Wort erwähnt.

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