nd-aktuell.de / 21.10.2020 / Kultur / Seite 7

Von Humor zu Hass

Rechte Ideologien tummeln sich auf der Games-Plattform Steam. Wie kann das sein?

Benjamin Strobel

Gaming macht nicht automatisch gewalttätig. Wahrscheinlich taugen die meisten Computerspiele auch überhaupt nicht zur Radikalisierung und Rekrutierung in extrem rechte Kreise. Trotzdem sind immer wieder Ausschreitungen aus dem rechten Spektrum zu beobachten, die aus Gaming-Communitys entstehen oder zumindest dort sichtbar werden. Der rechtsradikale Terrorist von Christchurch und sein Nachahmer in Halle bezogen sich explizit auf Spiele und bedienten sich ihrer Sprache.

Auf Steam, der größten Games-Plattform der Welt, loggen sich täglich Millionen von Spieler*innen ein, um einzukaufen, zu spielen und um sich auszutauschen. Schon länger ist sie aber auch Heimat von Neonazis, die dort offen Hassbotschaften verbreiten. Das NetzDG, ein Gesetz zur besseren Durchsetzung von geltendem Recht in digitalen Räumen, gilt nur für soziale Netzwerke, eine Spielevertriebsplattform wie Steam ist davon ausgenommen. Obwohl Hassrede auch dort nicht erlaubt ist, fehlt es jedoch an geeigneten Möglichkeiten, dieses Recht auch durchzusetzen oder entsprechende Inhalte zeitnah zu entfernen.

Strukturelle Schwachstellen

Dass ausgerechnet Steam als Einfallstor dafür genutzt wird, ist kein Zufall. Es sind vor allem die schwachen Strukturen, die zum Steigbügelhalter von Rechtsradikalen werden. Bereits 2019 zählte die Plattform mehr als eine Milliarde registrierte Accounts, 90 Millionen davon bewegen sich dort jeden Monat aktiv. Demgegenüber stehen - laut eigenen Angaben - lediglich dreizehn ehrenamtliche Moderator*innen und ein ebenfalls dreizehnköpfiges Supportteam des Anbieters Valve. Das heißt, auf jeden Moderator kommen rund 3,5 Millionen aktive Nutzer*innen. Das Supportteam erhält jede Woche allein hunderttausende Anfragen zu technischen Themen und Rückerstattungen, Meldungen von Hassrede und Diskriminierung sind hier nicht enthalten. Dass eine solche Mammutaufgabe von so wenigen Personen nicht gestemmt werden kann, ist offensichtlich.

Die Entwicklerstudios können ihre eigenen Foren zwar moderieren, aber das bedeutet zugleich, dass es keinen übergreifenden oder verpflichtenden Qualitätsstandard für die Moderation gibt. Die Nutzer*innen sind stattdessen darauf angewiesen, dass die jeweiligen Studios willens und personell dazu in der Lage sind, ihre Foren zu pflegen. Da die Branche bereits mit langen Arbeitszeiten und Überarbeitung zu kämpfen hat, kann das von vielen Teams kaum gewährleistet werden.

Neben den offiziellen Foren führt Steam auch ein Verzeichnis von Gruppen, die von Nutzer*innen angelegt werden und entweder öffentlich oder privat geschaltet sein können. Wer mit wenigen Klicks eine Gruppe erstellt, kann sie eigenständig verwalten, beliebig viele Menschen einladen und - solange die Gruppe privat ist - selbst über die Moderation bestimmen. Valve übernimmt für private Gruppen keine Verantwortung, auch wenn Namen, Bilder und Beschreibungen im Verzeichnis öffentlich einsehbar sind. Lediglich öffentliche Gruppen fallen in den Verantwortungsbereich des Softwareunternehmens. In den letzten Jahren hat Valve durch Algorithmen zwar dafür gesorgt, dass einige solcher Gruppen mit menschenfeindlichen Inhalten schwerer auffindbar sind, viele existieren aber weiterhin.

Fruchtbarer Boden

Wenn in einem Video von PewDiePie, Vorbild in den Gaming-Communitys und einer der weltweit erfolgreichsten Youtuber, antisemitische Poster hochgehalten werden, nennt er das einen Witz. Es ist aber natürlich viel mehr als das: Analysen aus den USA legen offen, dass rechtsradikale Gruppierungen ihren Appell häufig hinter Humor und Ironie verstecken. Rassistische Anschauungen, die andernfalls zu extrem erscheinen, wirken dadurch moderater und werden so für Personen außerhalb des rechtsradikalen Spektrums bekömmlicher gemacht. Formate wie GIFs oder Memes und popkulturelle Referenzen sind in der Spielekultur weit verbreitet und deshalb besonders anknüpfungsfähig. Als Humor getarnte Hassrede wird so zu einem Hintergrundrauschen, das in den Gaming-Communitys oft als normale Kulisse akzeptiert wird.

Auch wenn den Aussagen zunächst nicht zustimmt wird, trägt die wiederholte Exposition zu einer psychischen Gewöhnung bei. Gerade für Memes sind hohe Frequenz und Wiederholung typisch. Da das Arbeitsgedächtnis des Menschen nur begrenzte Kapazitäten besitzt, kann die Vielzahl von Aussagen nur schwerlich individuell bewertet werden. Stattdessen wird eine Flut von Inhalten meist nur oberflächlich und in der Folge weniger kritisch verarbeitet. Durch Gewöhnung und unkritische Rezeption kann sich die Grenze des Akzeptierten zunehmend verschieben und eine extrem rechte Radikalisierung begünstigen. Diese Mechanismen haben freien Lauf, solange Community-Räume nicht effektiv moderiert werden.

Auch in anderen Bereichen haben Gaming-Communitys mit strukturellen Problemen zu kämpfen: Beispielsweise wird der professionelle eSport fast ausschließlich von männlichen Spielern bestritten und Frauen und andere marginalisierte Gruppen werden vermehrt Opfer von Angriffen. Einen möglichen Grund dafür sieht der Kommunikationsforscher Christopher A. Paul in den meritokratischen Strukturen digitaler Spiele. Meritokratie bezeichnet eine Herrschaftsordnung, bei der die Herrschenden aufgrund ihrer so genannten »Leistungen« ausgewählt werden.

Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die zahlreichen Grabenkämpfe um hohe Schwierigkeitsgrade. In Games vermeintlich erworbene Leistungen geben einigen - meist männlichen - Spielern das Gefühl, sie wären deshalb berechtigt, sich über die vermeintlich Leistungsschwachen hinwegzusetzen. Von dieser Ideologie profitieren auch Hassbewegungen wie Gamergate, die für antifeministische Kampagnen und Angriffe bekannt sind. Ziel solcher Attacken war unter anderem die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian, die sich mit sexistischen Darstellungen und dem Frauenbild in Games beschäftigte.

Spiele veröffentlichen ohne Hürden

Einen Mangel an Sorgfalt herrscht aber auch beim Spieleangebot - ein zentraler Aspekt, denn das ist Valves hauptsächliches Geschäftsfeld. Früher hatte Steam eine kuratierte Ladentheke, aber das ist seit einigen Jahren vorbei. »Anybody should be able to publish anything«, machte Gabe Newell, Geschäftsführer von Valve, 2013 zum neuen Mantra der Plattform. Erst letztes Jahr hat diese Praxis erneut Kritik geerntet als ein Spiel veröffentlicht wurde, in dem Figuren vergewaltigt werden sollten. Erst auf öffentlichen Druck hin wurde es aus dem Angebot entfernt.

Vor Kurzem hat es ein rassistisches Spiel auf Steam geschafft, finanziert vom Verein Ein Prozent, der vom Verfassungsschutz wegen rechtsradikaler Bestrebungen beobachtet wird. Um ein Spiel auf der Plattform anzubieten, muss man lediglich ein Formular ausfüllen und eine Gebühr von 100 US-Dollar entrichten. Geprüft werden die Inhalte erst später - oder eben gar nicht. Einziges Kriterium: das angebotene Spiel muss technisch funktionieren. Selbst wenn die Inhalte alarmierend sind, ist eine Prüfung vor der Veröffentlichung kaum möglich.

Eine Einstufung durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die hierzulande Alterskennzeichen für digitale Spiele vergibt, bleibt in diesen Fällen fast immer aus. Die Einleitung eines solchen Verfahrens ist nur dann notwendig, wenn ein Spiel auch auf einem physischen Datenträger veröffentlicht wird und in den Handel kommen soll. Spiele, die ausschließlich online erscheinen, müssen also überhaupt nicht geprüft werden. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien kann zwar eingeschaltet werden, wird aber erst aktiv, wenn ein Spiel bereits erhältlich ist und auch dann nur auf Antrag der obersten Landesjugendbehörden, von Jugendämtern oder ähnlichen Einrichtungen. Bis das passiert, kann ein Spiel bereits Wochen oder Monate lang auf der Shop-Seite von Steam beworben und zum Download angeboten werden. Auch bei diesem propagandistischen Spiel hat Steam erst auf öffentlichen Druck reagiert.

Es bleibt nur der »Melden«-Knopf

Dieser Fall zeigt: Plattformen wie Steam sind nicht ausreichend gegen demokratiefeindliche Inhalte geschützt und reagieren zu langsam. Der Personalaufwand von Valve ist vor dem Hintergrund der hohen Nutzer*innenzahlen nicht ausreichend, das Moderationsteam kann zwangsläufig nicht zeitnah reagieren. Und schlimmer noch: solche Eingriffe sind von Valve auch gar nicht gewünscht. Denn alles soll erlaubt sein, »außer Dinge, die wir als illegal erachten«, heißt es in einem Statement von 2018. Besser wären hier also gesetzliche Grundlagen mit verbindlichen Vorgaben für Plattformbetreiber*innen wie Valve. Ansonsten bleibt nur Zivilcourage: demokratiefeindliche Inhalte melden und darauf hoffen, dass die Plattformen reagieren.

Benjamin Strobel ist Psychologe. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt er sich mit digitalen Spielen und ihrer kulturellen, medienpädagogischen und psychologischen Bedeutung. In der Initiative »Keinen Pixel den Faschisten!« engagiert er sich für Vielfalt und sichere Räume in Gaming-Communitys.