nd-aktuell.de / 28.10.2020 / Sport / Seite 16

»Jetzt ist Bewegung drin«

Ein neues Urteil könnte Para-Weitspringer Markus Rehm zu Olympia bringen

Oliver Kern

Der Internationale Sportgerichtshof Cas urteilte am Montag im Fall von Blake Leeper. Der unterschenkelamputierte US-Sprinter hatte den Leichtathletik-Weltverband verklagt, der ihm einen Start bei Olympia verwehrt hatte. Was sind die Unterschiede zwischen Ihnen beiden?

Er hat zwei Protehesen, ich eine. Im Sprung ist es ein Vorteil mit nur einer Prothese, im Sprint wird es einfacher mit zweien, weil man weniger Dysbalancen hat zwischen links und rechts. Das ist wohl der wichtigste Faktor.

Laut Cas hat der Weltverband nachgewiesen, dass die Prothesen Leeper einen Vorteil verschaffen. Deswegen darf er nicht gegen Athleten ohne Prothesen starten. Für Weitspringer wie Sie gibt es diesen Nachweis aber nicht.

Richtig. Vor gut vier Jahren wurde eine große Studie durchgeführt. Die stellte fest, dass Prothesenspringer im Anlauf einen Nachteil haben. Die geringere Geschwindigkeit, die ich beim Anlauf habe, kann auf die Prothese zurückgeführt werden. Beim Absprung hingegen verliere ich weniger Geschwindigkeit, und das kann man als Vorteil interpretieren. Die Wissenschaftler aus den USA, Deutschland und Japan konnten aber nicht klären, welcher Teil einen größeren Vor- oder Nachteil im Gesamtkonstrukt bringt.

Bislang hatte der Verband gefordert, Athleten müssten den Nachweis erbringen, keinen Vorteil zu haben. Diese Regel hat der Cas aber jetzt gekippt. Welche Auswirkungen hat das auf ihren Fall?

Nun muss der Verband die Vorteilsannahme nachweisen. Bisher hat er sich geweigert, das zu tun. Ich war nie so radikal, das gerichtlich einzufordern. Ich möchte lieber gemeinsam herausfinden, ob Athleten mit und ohne Prothese in einer Wertung starten können oder nicht. Ich will keinen Vorteil durch die Prothese, sondern im fairen Wettbewerb gegen die besten Kontrahenten antreten. Und das sind nun mal die olympischen Sportler. Diese Herausforderung suche ich.

Trotzdem betonten Sie, dass Sie niemandem eine Medaille wegnehmen wollen.

Das stimmt auch. Mir geht es darum, allgemein gemeinsame Wettkämpfe zu fördern. Nur muss es dafür klare Regeln geben.

Nach dem Urteil kann Ihnen niemand mehr die Teilnahme verweigern, oder doch?

Ich interpretiere das auch so. Den Nachweis, dass ich einen Gesamtvorteil habe, konnte noch keiner erbringen.

Hat eine Prothese nicht eine größere federnde Wirkung als ein menschlicher Fuß?

Nimmt man nur die Prothese ohne den Menschen dahinter, dann ja. Aber die Prothese kann nur die Energie zurückgeben, die ich hineinstecke. Sie selbst generiert keine Energie wie die Muskeln in der Wade und im Fuß eines olympischen Athleten. Bei mir kommt nur heraus, was Oberkörper und Oberschenkel an Gewichtskraft hineinstecken.

Planen Sie nun mehr Starts bei regulären Meetings mit nichtbehinderten Sportlern?

Ja. Ich habe auch dieses Jahr schon viele solcher Wettkämpfe gegen sie bestritten und will das auch weiterhin tun. Ich beharre dabei aber nicht auf meine formalen Rechte. Ich suche lieber eine gemeinsame Lösung, hinter der der Verband steht, aber auch ich als Athlet. Das ist mein Ziel. Und dieses Urteil hat sicherlich wieder mehr Bewegung in die Sache gebracht.

Sie wollten nie vor Gericht ziehen. Sollte Ihnen der Weltverband aber auch jetzt einen Start, etwa bei Olympia, verwehren, würden Sie ihn dann einklagen?

Mein erster Schritt ist, mit dem Verband zu sprechen. So lange wir die Frage nach dem Vorteil nicht klären können, bin ich weiter offen für Starts mit getrennten Wertungen. Wenn mir aber selbst die verwehrt werden, und ich mal etwas erzwingen muss, ist das sicherlich auch ein Weg für mich. Die Leute sollen aber verstehen, dass es mir dabei um einheitliche Lösungen geht. Dafür muss sich der Weltverband öffnen. Wenn er das freiwillig tut, wäre es am schönsten. Wenn nicht, muss man vielleicht etwas nachhelfen.

Warum wären Sie noch mit getrennten Wertungen einverstanden, obwohl Ihnen noch kein Vorteil nachgewiesen wurde?

Weil auch ich es noch nicht besser weiß. Ich denke 30 Jahre weiter. Dann haben wir vielleicht die technischen Möglichkeiten, es genauer festzustellen. Und dann sitze ich zu Hause vor dem Fernseher, sehe mir alte Videos an und stelle vielleicht fest, dass das, was ich getan habe, einen Riesenfehler war. Das würde mir nicht gefallen.