nd-aktuell.de / 02.11.2020 / Kommentare / Seite 8

Mit 600 PS an den Baum gelehnt

SONNTAGSSCHUSS: Die Aufregung über teure Spielzeuge einzelner Stars lenkt vom eigentlichen Problem einer völlig abgehobenen Branche ab, meint Christoph Ruf

Christoph Ruf

Die Pressekonferenzen, die die Profivereine vor ihren jeweiligen Spielen einberufen, sind meist ziemlich unwürdige Rituale. Die Journalisten stellen dabei Fragen, von denen sie wissen, dass sie die Trainer nicht beantworten können, um dem Gegner nicht die Arbeit zu erleichtern. Und die Trainer haben oft nicht das rhetorische Rüstzeug, um trotzdem irgendetwas Spannendes von sich zu geben. So kommt es zu den immergleichen Floskeln über die Mannschaften, die »kompakt stehen« (was man ihnen in einem Bewegungssport nicht wünscht) und die Waagschalen, in die man wieder alles werfen werde.

In Freiburg war das am Freitag anders, und das lag nicht nur daran, dass Christian Streich ein Trainer ist, der zu vielem etwas sagen kann, weil er schon über mehr Themen nachgedacht hat als viele Kollegen. Die Rede kam auf das Auto eines seiner Spieler, Ermedin Demirovic, der sich offenbar gerade einen Mercedes für 176 000 Euro gekauft hatte. 600 PS bei einem Spieler, der bislang sechs Bundesliga-Minuten absolviert hat, 100 pro Einsatzminute, wie die »BILD« vorrechnete. Streich hat keinen Zweifel daran gelassen, was er vom PS-Wahn der Branche, der über Instagram und Co. orchestrierten Gefallsucht, hält. Und er hat noch etwas Richtiges gesagt. Nämlich, dass die Jungprofis dem Mainstream folgen, was auch andere Gleichaltrige tun. Dicke Autos sind in, Muttis, die die Kinder im SUV-Zweitwagen in die Waldorfschule fahren und auf dem Rückweg einen Bund Bio-Möhren kaufen, die sich selbst für ökologisch bewusst haltende Basis der Grünen.

Hinzu kommt - und auch da sind 20-jährige Kicker nicht anders als viele 20-jährige Azubis im Einzelhandel -, dass alles was glitzert für wertvoll gehalten wird. Es ist noch nicht lange her, da hätte man Cathy Hummels oder Michael Wendler bemitleidet, heute sind sie Instagram-Stars. Werte sind in diesen Kreisen etwas, das sich in Euro bemessen lässt, darüber gekleistert ein paar hohle Floskeln von Loyalität, Familie und Freundschaft - jeden Sommer im Freibad zigtausendfach auf den Oberarmen und Brustkörben von 20-Jährigen in tätowierter Schnörkelschrift zu sehen. Demirovic ans Kreuz zu nageln, ist also idiotisch, denn so wie er sind Hunderttausende andere auch.

Und doch gibt es einen großen Unterschied zwischen den Demirovics aus der ersten Liga und den meisten Gleichaltrigen. Und der lässt sich nicht so lapidar wegwischen, wie Streich das getan hat. Denn »verdient« hat sich ein Bankdrücker, der 22 Jahre alt ist, das Vermögen natürlich nicht, das er da in ein Auto gesteckt hat. Er arbeitet nur in einer Branche, in der noch ein Hinterbänkler bei einem 08/15-Team mehr Geld verdient als der Bundespräsident. Das ist pervers, fällt den meisten Menschen aber erst auf, wenn man sieht, was man sich von einem hohen sechsstelligen Monatsgehalt alles kaufen kann. Ernsthafte Versuche das zu ändern, hat die Branche bislang nicht unternommen. Das wird der Profifußball auch nicht schaffen, so lange die Vereine, die sich an der Champions League orientieren, de facto mehr zu sagen haben als »normale« Bundesligisten.

Da es aber in Europa noch nicht ganz so weit ist wie in den USA, wo obszöner Reichtum als gottgegeben angesehen wird, gab und gibt es alle möglichen Versuche, das zu kaschieren. Beim FC Bayern gab es Zeiten, als die Spieler ihre Nobelkarossen vorm Vereinsgelände parkten, um in die Mittelklassewagen des damaligen Hauptsponsors zu steigen und damit zum Trainingsgelände und den wartenden Fans zu fahren. Und heute arbeiten Medienberater und Social-Media-Abteilungen flächendeckend daran, den Spielern einzutrichtern, was sie posten sollen und was nicht. Vergoldetes Steak? Nein. Besuch in der Kinderklinik? Unbedingt. Angeberauto? An der Stelle muss Demirovic kurz weggenickt sein.

Streich hat seinem Spieler nach der BILD-Schlagzeile dann offenbar auch sehr massiv ins Gewissen geredet, der Spieler selbst hält sein Verhalten mittlerweile für »naiv«, die Vokabel hatte auch Streich gebraucht. Es ging dabei natürlich nicht um das Auto als solches, sondern um die Tatsache, dass er ein Foto davon ins Netz gestellt hatte. Was man nicht sieht, ist nicht da. Das wissen schon Dreijährige, die sich mit dem Gesicht an die Rinde gelehnt an einen Baum stellen, fest die Augen schließen und sich ganz sicher sind, dass niemand sie jemals finden wird.