nd-aktuell.de / 04.11.2020 / Politik / Seite 1

Verteidigung der Notbremse

RKI-Vizepräsident warnt vor 400 000 täglichen Corona-Neuinfektionen zu Weihnachten

Ulrike Henning

Zu Beginn des neuen Teil-Lockdowns warb Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) um Unterstützung bei der Umsetzung der Maßnahmen. Spahn nannte als aktuellen Schwerpunkt der Bundesregierung den Schutz derjenigen, die besonders stark vom Virus betroffen seien: Ältere, Pflegebedürftige und Menschen mit Vorerkrankungen. So würden Pflegeheimen und Krankenhäusern jetzt Schnelltests zur Verfügung gestellt. Auf der Pressekonferenz am Dienstag in Berlin beschrieb der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, Lars Schaade, das aktuelle Infektionsgeschehen: Anfang Oktober seien täglich zwischen 1000 und 4000 Fälle übermittelt worden. Einen Monat später seien es im Schnitt 15 000 Fälle. Er warnte: »Wenn das genauso weiterginge, hätten wir bis Weihnachten über 400 000 gemeldete Neuinfektionen pro Tag.« Schaade erklärte, dass es aktuell wöchentlich mehr als drei Millionen Tests geben müsse, wenn alle Personen mit Erkältungssymptomen auf Corona getestet würden. Das sei weder möglich noch erforderlich. Er verteidigte ebenso wie Spahn die jetzigen Maßnahmen als einzige Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens, geht davon aus, dass die Intensivstationen »in kürzester Zeit« an die Grenze kommen werden. Spahn stellte den Krankenhäusern, die aus Gründen der Versorgung von Covid-19-Patienten aus der Regelversorgung aussteigen, weitere Unterstützung des Bundes in Aussicht.

Kritik kam von der Arbeitsgruppenleiterin des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung, Melanie Brinkmann. Deutschland habe im Sommer Zeit verschwendet. »Wir müssen unsere Präventionsmaßnahmen deutlich verbessern«, erklärte sie. Im Kampf gegen die Pandemie sei nicht die Zahl der Intensivbetten, sondern die Prävention entscheidend. Wenn jeder Einzelne seine Kontakte reduziere, wenn nicht nur die 80 Prozent Lockdown-Befürworter, sondern 100 Prozent bei den Maßnahmen mitmachten, könnte der Lockdown kürzer ausfallen.

Unterdessen haben sich Union und SPD auf eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes geeinigt, mit der die Corona-Einschränkungen künftig vor den Gerichten besser bestehen sollen. Die Vorlage enthält Konkretisierungen für einzelne Corona-Schutzmaßnahmen und soll am Freitag im Bundestag beraten werden. Kommentar Seite 10