nd-aktuell.de / 05.11.2020 / Gesund leben / Seite 7

Covid-19 als Gefäßerkrankung

Die stärkere Blutgerinnung und die Mechanismen der Endothelschädigung geben Medizinern noch Rätsel auf

Ulrike Henning

Im Frühjahr gab es erste Hinweise darauf, dass Covid-19 nicht nur eine Lungenkrankheit ist, sondern auch eine systemische Gefäßentzündung. Bei Untersuchungen von Gewebeproben verstorbener Patienten am Universitätsspital Zürich fanden Pathologen nicht nur Zeichen für eine Pneumonie (Lungenentzündung) - auch das gesamte Endothel, also Gefäßinnenwände verschiedenster Organe, war von krankhaften Veränderungen betroffen.

Das Endothel ist eine Art Schutzschild im Inneren der Gefäße, eine Zellschicht, in deren Mikrogefäßen wichtige Prozesse reguliert werden. Kommt es hier zu Störungen, wird die Durchblutung von Organen und Körper gefährdet, bis hin zum Absterben von diesen. Die systemische Entzündung hatte Blutgefäße von Herz, Gehirn, Lungen und Nieren erfasst, außerdem jene im Darmtrakt. Erklärt wurde das bislang damit, dass das Sars-CoV-2-Virus über die auch im Endothel vorkommenden ACE-2-Rezeptoren das Immunsystem direkt angreift. Zur Erinnerung: ACE-2 ist ein Oberflächenprotein der menschlichen Zellen, das unter anderem an der Regulierung des Blutdrucks beteiligt ist. Inzwischen sind etliche Studien mit ähnlichen Ergebnissen dazugekommen. Nicht nur die Gefäßwände sind entzündet, es kommt regelmäßig auch zu Thrombosen, bei denen das Blut Gerinnsel bildet, die Gefäße zusetzen können.

Es deutet sich also an, dass Covid-19-Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen haben. »Dazu zählen Thrombosen, Lungenembolien oder schwere Durchblutungsstörungen in Beinen und Armen«, erklärte kürzlich Markus Steinbauer, Chefarzt der Klinik Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg. Der Chirurg verwies auch auf die Obduktionen von Verstorbenen mit Covid-19 im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. In fast zwei Dritteln der Fälle wurden dabei Verschlüsse in den Venen der Unterschenkel entdeckt, die zuvor nicht aufgefallen waren. Ein Drittel der Patienten verstarb an einer Lungenembolie. Dabei ist ein Blutgefäß der Lunge verstopft, meistens durch ein Blutgerinnsel.

Besonders gefährdet für einen schwereren Verlauf von Covid-19 sind laut Steinbauer Raucher und Menschen mit Bluthochdruck - in beiden Gruppen besteht grundsätzlich ein Risiko für die Gefäßgesundheit. In einer weiteren Studie zeigte sich, dass von den Covid-19-Intensivpatienten mit Thrombosen die Hälfte nicht überlebte, bei jenen ohne Thrombosen starben 19 Prozent.

Einen wichtigen Anhaltspunkt für einen schweren Verlauf von Covid-19 geben erhöhte D-Dimer-Werte. Diese Proteine kommen als Abbauprodukte von Fibrin im Blut vor. Entsteht im Körper ein Blutgerinnsel und wird dieses wieder aufgelöst, entstehen D-Dimer. Bei einem negativem Wert kann eine Thrombose ausgeschlossen werden. Ein positiver Wert weist auf eine Aktivierung von Gerinnungsfaktoren hin. Dies kann auch bei Tumoren vorkommen, nach Operationen im Verlauf der Wundheilung, bei Leberzirrhose und weiteren schweren Erkrankungen.

Aufgrund dieser Erkenntnisse empfehlen in Deutschland inzwischen mehrere Fachgesellschaften, auch bei ambulanten Covid-19-Patienten eine Thromboseprophylaxe durchzuführen. Dazu gehören Bewegung, Blutverdünner und Kompressionsstrümpfe.

Warum sich aber bei Covid-19-Patienten die Thrombosen häufen, ist nach Einschätzung des Gefäßchirurgen Steinbauer noch nicht klar. Eine Ursache könnte die stärkere Blutgerinnung sein, die bei den Kranken beobachtet wurde. Es liegen bereits Studienergebnisse dazu vor, dass eine Therapie mit Blutverdünnern die Sterblichkeit deutlich reduzieren kann.

So liegen zum Thema der Gefäßschädigungen im Zuge einer Covid-19-Infektion zwar eine Reihe von Erkenntnissen vor. Risikogruppen konnten eingegrenzt werden, typische Symptome und Marker im Blut sind bekannt. Dennoch scheint Ärzten und ihren Fachgesellschaften dies alles noch nicht so sicher, dass eindeutige Therapieentscheidungen für verschiedenste Patienten getroffen werden können. Weitere Studien seien nötig, meint auch Steinbauer, darunter zu den Mechanismen der Gefäßschädigung und zu deren Bedeutung für Langzeitschäden, die bei einem Teil der Patienten auftreten, ebenso zu geeigneten Medikamenten.