Klinikärzte unter Druck

Einige Arbeitgeber im Krankenhaussektor wollen die Pandemie nutzen, um Tarifverträge auszuhöhlen

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch die jährliche Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) ist von der sich zuspitzenden Corona-Pandemie geprägt. Das betrifft zum einen die Durchführung der Veranstaltung, die am Sonnabend als digitale Delegiertenkonferenz stattfinden wird. Bereits am Freitag treffen sich sechs Online-Arbeitsgruppen, um etwa Fragen der aktuellen Situation in den Kliniken und der Tarifpolitik zu erörtern.

Auf einer ebenfalls digitalen Pressekonferenz verdeutlichte die MB-Vorsitzende Susanne Johna am Donnerstag die Positionen ihrer Organisation zur Bewältigung der Krise. Einige Diskussionen über die »vermeintliche Verbotspolitik« der Regierung seien »makaber«, so Johna. Natürlich könne man über die Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen geteilter Meinung sein, doch eine massive Reduzierung von unmittelbaren Kontakten sei unerlässlich um das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen einzudämmen. Und das sei dringend notwendig, um einen Kollaps der medizinischen Betreuung von Corona-Patienten zu vermeiden.

Die MB-Vorsitzende verwahrte sich auch gegen ein jüngst veröffentlichtes Positionspapier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, in dem unter anderem allgemeine Kontaktbeschränkungen abgelehnt und die Abkehr von der generellen Kontaktverfolgung positiv Getesteter empfohlen werden. Stattdessen wird in dem Papier eine Fokussierung auf Risikogruppen gefordert. Dieses Papier zeuge von »Unkenntnis der Situation«, so Johna. Zu den Gruppen mit deutlich erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe gehörten nach wissenschaftlichen Kriterien über 20 Millionen Menschen in Deutschland: »Eine Strategie, die nur auf den Schutz dieser Gruppen setzt, kann nicht funktionieren«. Johna begrüßte den allmählich anlaufenden massenhaften Einsatz von Schnelltests und forderte die Bevölkerung auf, Kontakttagebücher zu führen, um im Falle eines positiven Tests die Arbeit der hoffnungslos überlasteten Gesundheitsämter zu unterstützen.

In den Kliniken sei zudem nicht die Ausstattung mit Intensivbetten und Beatmungsgeräten das Problem, da sei man »gut aufgestellt«. Es mangele aber an qualifiziertem Pflegepersonal. Doch statt jetzt laut über die Aussetzung von Personaluntergrenzen und Arbeitszeithöchstgrenzen nachzudenken, müsste an »intelligenten Lösungen« zum Einsatz der vorhandenen Pflegekräfte gearbeitet werden. Dazu gehöre die umfassende Entlastung von bürokratischen Aufgaben, wie etwa minutengenaue Dokumentationspflichten. Denn, so Johna: »Wir brauchen die Hände des Pflegepersonals am Bett des Patienten und nicht am Schreibtisch«.

Johnas Stellvertreter Andreas Botzlar räumte ein, dass es in der Tarifpolitik derzeit coronabedingt nur eingeschränkte Spielräume gebe, denn Arbeitskampfmaßnahmen von Ärzten seien aktuell »nicht vorstellbar«. Dennoch werde man weiter darauf drängen, besonders in Fragen der Arbeitsbelastung Vereinbarungen mit kommunalen und privaten Arbeitgebern zu erzielen. Botzlar nannte es »skandalös«, dass die kommunalen Arbeitgeber Verhandlungen über einen Tarifvertrag im öffentlichen Gesundheitsdienst nach wie vor beharrlich verweigern und andere, wie der Klinikverbund der gesetzlichen Unfallversicherung (BG Kliniken), Corona offenbar missbrauchen wollen, um bereits vereinbarte Tarifverträge zu widerrufen. Auch Botzlar verwahrte sich gegen Vorstöße in einigen Bundesländern, die Mindeststandards bei der Versorgung aufzuweichen: »Untergrenze (beim Personal, Anm. d. Red.) heißt ja nicht umsonst Untergrenze, und das bedeutet, dass entsprechende Lockerungen die Versorgung gefährden würden«. Auch das Risiko für das medizinische Personal, sich zu infizieren, würde steigen.

In der Tarifpolitik will sich der MB verstärkt einem neuen Sektor widmen, da es zunehmend angestellte Ärzte in der ambulanten Versorgung außerhalb der Kliniken gibt. Inzwischen ist das bereits jeder Sechste dort Tätige. Selbstverständlich bräuchten auch Ärzte an diesen Orten kollektiven tariflichen Schutz, darüber werde man mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verhandeln.

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