nd-aktuell.de / 21.11.2020 / Kultur / Seite 37

O Cristo Cigano!

Der Künstler als Mörder

Mario Pschera

Einer Legende des 17. Jahrhunderts nach lebte an den Ufern des Triana ein schöner, durch Gesang und Gitarrenspiel wohlbekannter Zigeuner, dem eine geheime Affäre mit einer Frau aus adligem Hause nachgesagt wurde. Zu gleicher Zeit wurde ein Bildhauer beauftragt, eine Statue vom Todeskampf Christi für eine Kapelle zu schnitzen. Der Bildhauer verzweifelt an dem Auftrag, nach Hunderten von Skizzen und Entwürfen wandert er fiebergeschwächt durch die nächtlichen Gassen, hört Lärm und Geschrei, sieht einen Fliehenden zu Pferde und dann den Cigano mit einem reichverzierten Dolch in der Brust. Er leistet nicht Hilfe, sondern bannt das Gesicht des Sterbenden aufs Papier. Und übergibt ihn im doppelten Sinne der Ewigkeit. Nach einer zweiten Version habe er auf der Suche nach dem Leidensgesicht das Opfer selbst niedergestochen und in Gottes Sohn verwandelt.

In Verse gefasst hat diese Geschichte von Künstler als Übermenschen Sophia de Mello Breyner Andresen (1919 - 2004), die als die bedeutendste portugiesische Lyrikerin angesehen wird. Der Bund mit dem Tod um der Kunst willen, die dunkle Stimme des Fado (gern darf an Mozarts »Requiem« erinnert werden, den Bund mit dem eigenen Tod). Wie Mozart baut Andresen ganz mählich einen Fog aus Ahnungen auf, doch in äußerst knappen, liedhaften Zeilen. Dass es blutig ausgehen wird, stellt sie gleich zu Beginn des Poems klar: »Das Wort Messer / Von Nutzen überall / Hat so fein geschliffen / Der Dichter João Cabral / So dass es nun steht / Blitzblau und scharf / auf Gedichtes Schneide…« Die Zeilen werden länger, retardieren, tänzeln, um im Finale zur knappsten Form zurückzukehren. Das ist ungemein musikalisch, wie ein Tanzstück aufgebaut, wie man es auf die Bühne bringen sollte. Ohne die Romantisierung, wie sie Prosper Mérimées »Carmen« erleiden musste. Harte Worte in hartem Licht auf karger Landschaft. Aber wie sie leuchten! Man spreche das portugiesische Original, dass vorbildlicherweise mit abgedruckt ist: »O teu amor em mim / de tudo me separa / No gume de uma faca / o meu viver se corta«. Da harmonieren die Vocale und Konsonanten, umkreisen einander, Halbverse entfernen und begegnen sich wieder, da stimmt jede Silbe. Der Text verlangt geradezu nach Rhythmus, nach einer expressiven Stimme.

Die Übersetzerin Sarita Brandt, geboren 1945, hat wohl diese im Ohr gehabt. Sie erliegt nicht der Versuchung, philologisch genau und ausschweifend zu übertragen (ein zu oft geübtes Ärgernis bei Gedichtübertragungen), sondern schafft es, die knappe Form zu wahren, den Klang ins Deutsche zu bringen. Das ist hohe handwerkliche Kunst; ihr würde ich jedes Gedicht anvertrauen und diesen Namen werde ich mir merken. Um durch sie andere portugiesischsprachige Autoren zu entdecken.

Eine Nachbemerkung: Eine befreundete Flamenco-Sängerin sammelt Liedtexte der Gitanos. Gibt es eine Übersetzerin, die Gleiches für das Spanische respektive Andalusische bewerkstelligen kann? Denn Liebe, Tod und Christi Passion werden nicht nur an den Ufern des Triana besungen.

O destino eram
Os homens escuros
Que assim lhe disseram:
- Tu esculpirás Seu rosto
de morte e de agonia.

»Onde estás tu morte?
Não te posso ver:
Neste dia de Maio
Com rosas e trigo
É como se tu não
Vivesses comigo.

Sein Los waren
Die dunklen Gestalten
Die ihm befahlen wie folgt:
- Von Seinem Haupte wirst du schnitzen ein Bild
der Qual und der Agonie.

«Tod wo ist dein Versteck?
Ich kann dich nicht sehen:
An diesem Tag im Mai
Mit Weizen und Rosen
Ist es als ob du gar nicht
Seiest Teil meines Lebens.