nd-aktuell.de / 25.11.2020 / Politik / Seite 5

Pushbacks unter EU-Aufsicht

Grenzschutzbehörde kooperiert bei Flüchtlings-Zurückweisungen

Uwe Kalbe
Frontex wird immer wieder vorgeworfen, mitschuldig an Rechtsverletzungen an den Außengrenzen der EU zu sein. Bisher wies die EU-Grenzschutzagentur solche Vorwürfe stets zurück. Recherchen einer Mediengruppe, deren Ergebnisse Spiegel online erneut detailliert veröffentlichte, erhärten die Vorwürfe. An der Recherche waren neben dem »Spiegel« die Medienplattformen Lighthouse Reports, Bellingcat, das ARD-Magazin »Report Mainz« und der japanische Fernsehsender tv Asahi beteiligt. Die Ergebnisse legen die gewaltsame Zurückdrängung von Menschen nahe, die in seeuntüchtigen Schlauchbooten versuchen, von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Solche »Pushbacks« sind nach internationalem Recht illegal.

Unter den Augen und teilweiser Mitwirkung von Frontex-Schiffen wie auch der türkischen Küstenwache treibt, wie Filmaufnahmen nahelegen, der griechische Küstenschutz nahe den Inseln Samos und Lesbos Menschen in ihren Schlauchbooten in Richtung türkische Küste zurück, die sich hier in Sichtweite befindet. Schlauchboote seien auch an Seilen in Richtung Festland zurückgeschleppt worden. Sechsmal wurden allein in der Recherche Frontex-Einheiten in der Nähe solcher Pushbacks ausgemacht, in einem Fall habe sich ein Frontex-Schiff selbst an der Zurückdrängung beteiligt.

Zuletzt hatte der Europarat scharfe Kritik am Umgang griechischer Behörden mit Flüchtlingen geübt. Sein Anti-Folter-Komitee sprach von »schlüssigen und glaubhaften« Vorwürfen illegaler Rückführungen in die Türkei. Zudem gebe es eine »unmenschliche und erniedrigende Behandlung« in griechischen Flüchtlingslagern. Frontex-Chef Fabrice Leggeri schlug daraufhin eine Untersuchungskommission vor, die sich mit rechtlichen Fragen der Frontex-Überwachung der Seegrenzen befassen und von der EU-Kommission koordiniert werden solle.

Frontex verzeichnete zuletzt einen deutlichen Rückgang der Zahl der Flüchtlinge im Mittelmeer. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres registrierte die Behörde 13 400 Migranten und Flüchtlinge. Dies entspricht einem Rückgang von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im östlichen Mittelmeer, eben jener Region, wo die Pushbacks festgestellt wurden und die wegen der Nähe zur türkischen Küste in der Vergangenheit eine der Hauptmigrationsrouten war, gingen die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gar um 75 Prozent zurück.

Dagegen verdoppelte sich die Zahl der Grenzübertritte auf der Westbalkanroute laut EU-Angaben seit dem vergangenen Jahr – mehr als 19 700 Menschen seien ohne gültige Papiere aufgegriffen worden, hieß es. Und das, obwohl über Pushbacks mit brutalen Methoden immer wieder beispielsweise auch aus Kroatien nach Bosnien und Herzegowina berichtet wird. Pro Asyl forderte deshalb ein unabhängiges Monitoring an den EU-Grenzen, das im Auftrag der EU von unabhängigen Persönlichkeiten und Organisationen geführt werden solle.